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Archiv-Artikel

harald fricke über Märkte Vom Buhmann zum Vorbild

Elvis ist endgültig vorbei – überall ist Dieter da. Und der stellt sich als deutsche Wertarbeit zur Schau

Die Woche fing mit Bohlen an. Beim Frühstück, in der Zeitung auf Seite zwei, gleich neben der gekippten Mautgebühr, brandaktuell: Die einstweilige Verfügung, mit der „mehrere Prominente“ den Verkauf seines neuen Buchs „Hinter den Kulissen“ stoppen wollen, sie ist für Dieter Bohlen „pillepalle“. Die Meldung stand nicht in Bild, sondern in der taz. Das andere große Boulevardblatt berichtete unterdessen vom „Würgegriff“, mit dem Bohlen am Samstag auf Thomas Gottschalk losgegangen ist, nachdem der „Wetten, dass …?“-Moderator ihn wegen seiner Freude am Geldverdienen gerüffelt hatte. Bild aber kämpft für Bohlen, der mit seinem Wohlstand ein positives Zeichen für Deutschland setzen wolle und überhaupt ein Freund der Arbeitslosen sei – anders als Boris Becker oder Michael Schumacher zahle er ja weiter jede Menge Steuern. Deshalb ist er von Monika Griefahn, der Vorsitzenden des Kulturausschusses im Bundestag, schon im Juni für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen worden.

So kann man sich irren. Bohlen ist im Jahr 2003 kein Buhmann, sondern Vorbild: Heldengestalt im Feuilleton und potenzieller Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten (auch das stand in der taz, nicht in Bild ). Für Müller-Milch hat er eine Spaßpartei gegründet, im Clip für O2-Handys hat er sich die Haare föhnen lassen, und für S. Oliver trägt er T-Shirts mit der Aufschrift „talentfrei“. Nebenbei surfen Songs seiner „Deutschland sucht den Superstar“-Entourage im Wochenrhythmus durch die Charts, und sein Bungalow in Tötensen ist zur Pilgerstätte geworden. Kein Zweifel, die Zeiten der alten Showhasen und Ikonen vom Schlage eines Elvis sind endgültig vorbei, überall ist Igel Dieter da.

Noch immer kann ich Bohlens Aufstieg vom Modern-Talking-Proll zum mediengehypten Mister Germany kaum fassen. In den Achtzigerjahren war er für mich ein Jeanstyp mit Gitarre, der in Videoclips stets ein wenig verkrampft von einem Bein auf das andere hüpfte, als müsse er ganz schnell mal aufs Klo. Sein musikalisches Provinzfürstentum erinnerte eher an Edmund Stoiber: Bohlens Erfolg als Produzent von C. C. Catch, Chris Norman oder Bonnie Tyler spiegelte lediglich die Tristesse im Sound der Bundesrepublik wieder. Grönemeyer konnte nicht tanzen, Bohlen nicht mal singen – seine Songs waren anonym und uniform wie die Jeansshops in den Fußgängerzonen. Auch heute sind es nicht die Lieder, für die Bohlen plötzlich geliebt wird, als wäre unter seinem Trash mit Schnauze ein Herz aus Gold verborgen. Alle Welt weiß, dass das Bohlen-Spektakel im Zuge von „Deutschland sucht den Superstar“ zum Plan von Bertelsmann gehört: Der Konzern besitzt Anteile an RTL, vermarktet die entsprechenden Tonträger, und Bohlens neues Buch erscheint bei Random House, einer Tochter von BMG. Den Rest regelt Dr. Katja Kessler, die bei den beiden Bänden seiner Memoiren geholfen hat und nun die Erregung über die von Bohlen unbotmäßig zitierten „Bärchen“-Intimitäten, über die sich Leute wie Eva Herman oder Jens Riewa ärgern, als Klatschkolumnistin für Bild kommentieren darf.

Andererseits wächst mit dem Wissen um solche Mechanismen von Prominenz und deren Durchschaubarkeit die Sympathie für Bohlen nur noch umso mehr. Markiert er den wilden Max, gilt er mittlerweile als Springteufel im System, der zwischen lauter verängstigten Castingsternchen locker mal auf Turbo-Ego umschalten kann. Das wirkt bei all dem Zwang zum Superstar auf viele offenbar sehr befreiend. Im Jammertal des Televotings blüht er auf: Mit Bohlen scheint endlich der Macher wieder zu sich selbst zu finden, ohne die Künstlichkeit von Images, als Einheit aus Produkt und Produzent.

Diese Einstellung ist zwangsläufig gut fürs Geschäft. Denn Bohlen beherrscht, was Georg Franck vor ein paar Jahren „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ genannt hat. Parallel zur Sphäre des Geldes ist laut Franck ein „mentaler Kapitalismus“ entstanden, bei dem sich die gesellschaftliche Attraktivität einer Person im „Sog ihrer Selbstwertschätzung“ bildet. Bohlens notorische Präsenz auf allen Kanälen wäre demnach kein später Triumph des dumpfen Muckertums, sondern gelebte Zweckrationalität. Er stellt sich selbst als echte deutsche Wertarbeit zur Schau, stets bewusst, dass gelungene Vermarktung sich längst nicht mehr am musikalischen Produkt misst, sondern allein an öffentlicher Aufmerksamkeit, die ihm als ehrgeizigem Talentschmied, im Hintergrund eines Tonstudios auf dem Lande, letztlich versagt geblieben wäre. RTL und Bild, Kessler oder Griefahn geben ihm darin täglich Recht, und auch wir arbeiten dran.

Fragen zu Bohlenkolumne@taz.de