: Weltrekord als Experiment
Den Sieg des THW Kiel gegen den TBV Lemgo sehen AufSchalke fast 31.000 Menschen. Der gelungene Rekordversuch lässt auch die Chancen auf ein WM-Finale 2007 in dieser Arena steigen
VON SCHALKEBORIS R. ROSENKRANZ
Zu Anzug und Krawatte trägt Fynn Holpert gerne ein breites Grinsen. Das vergeht dem Manager des Handball-Bundesligisten TBV Lemgo eigentlich nie. Schon gar nicht, wenn er dabei ist, mit dem TBV einen Weltrekord zu zimmern: So strömten am Sonntag 30.925 Menschen zum ersten Saisonspiel des TBV gegen den THW Kiel. Und sie strömten nicht irgendwo hin, sondern in den schlicht Arena genannten Fußballpalast auf Schalke. Dessen eigens für das Handball-Spiel errichtete Mitteltribüne fasste mit rund 3.800 Sitzplätzen schon so viele Fans wie Lemgos Lipperlandhalle insgesamt.
Doch Weltrekord hin, Besuchermassen her. Am frühen Sonntagabend, kurz nach Abpfiff des Spiels, war Holpert nur noch mäßig zum Lachen zumute. Mit 26:31 war Lemgo zuvor in einer rasend schnellen Partie baden gegangen. Kiel hatte von Anfang an vorn gelegen und weitaus konzentrierter gewirkt. Viele werden nun sagen, Lemgo sei noch ausgemergelt, da sechs Spielern Olympia noch in den Knochen stecke. Das mag teilweise auch stimmen. Doch einer der Silbermedaillen-Gewinner konnte seine Top-Form seit Athen konservieren. Allerdings spielt der in Kiel. Er heißt: Henning Fritz.
Was Fritz im Tor vollbringt, spottete schon bei den Olympischen Spielen jeder Beschreibung. Auf Schalke schien es dem 29-Jährigen zuweilen nicht mal große Anstrengung abzuverlangen, die Würfe abzuwehren, mit solcher Leichtigkeit ging er zu Werke. Und letztlich war er es, der Kiel zum Sieg führte: 23 Bälle hat Fritz souverän von der Linie gefischt, sechs davon bereits in den ersten acht Minuten. Seine beiden Kollegen im Lemgoer Tor, Christian Ramota und der – bessere – Jörg Zereike, brachten es zusammen gerade mal auf 14 Paraden.
Dagegen fand der TBV kein Rezept. Zwar arbeitet sich die Mannschaft aus Ostwestfalen zwischenzeitlich auf ein Tor heran. Im Abschluss aber verplemperte Lemgo dann wieder wichtige Chancen. Einerseits wegen Fritz, andererseits weil Kiels Abwehr sehr kompakt, sehr aggressiv agierte. Dass Lemgo ab der 16. Minute auf den angeschlagenen Daniel Stephan verzichten musste, war allenthalben zu spüren. Auch Volker Zerbe, sonst ein sicherer Schütze Lemgos, blieb mit nur einem Treffer weit hinter seinen Möglichkeiten.
Nach dem Spiel blieb Manager Holpert also nichts weiter übrig, als dem Gegner eine bessere Form zu attestieren. Den Weltrekord nannte Holpert müde grinsend „ein Experiment“. Was freilich die Frage provozierte, ob die Arena „Auf Schalke“ sich wieder für Handball öffnen wird? So bald geschieht das aber offenbar nicht, auch wenn Schalke-Manager Rudi Assauer, sonst ein Mann großer Worte, nach der Pressekonferenz in ein Fernseh-Mikro muffelte: „Zu so einer Geschichte kann jeder kommen, besonders der TBV Lemgo.“ Doch der Umbau ist aufwändig, die Sache kostet Geld. Für Lemgo hat sie sich angeblich ab dem 20.000sten Ticket rentiert. Trotzdem sagt Holpert: „Da muss die Konstellation stimmen“, was so viel bedeutet wie: Beim nächsten Mal sollte es schon ein Länderspiel sein. Das Endspiel der Handball-WM 2007 vielleicht?
Sicher ist jedenfalls, dass alle begeistert waren: Henning Fritz nannte das Spiel einen „Traum“, und Noka Serdarusic, Kiels Trainer, war „glücklich, so etwas erleben zu dürfen“. Der deutsche Handball ist mit dem Rekordspiel in einer neuen Zeit angelangt. Die Beliebtheit der Sportart wächst und wächst, was mit ein Verdienst der fabelhaften Nationalmannschaft ist. Klar ist auch, dass Popularität und Zuschauermengen, gepaart mit dem zufriedenen Rekord-Deutsch der Medien ein beträchtliches Plus auf die Konten der Vereine bringen. Das kann den kleineren Klubs und dem krankenden Handball-Verband insgesamt nur lieb sein.
Doch was war mit der Stimmung? Auf Schalke hinterließ das Publikum zunächst einen etwas müden Eindruck. Erst in der zweiten Hälfte, geschürt von merkwürdigen Schiedsrichter-Entscheidungen, geriet die Masse mehr und mehr ins Rotieren. Dem TBV reichte die Unterstützung aber nicht mehr zum Sieg. Ein neuerlicher Anlauf, Handball als Event zu verkaufen, wäre der Sportart trotzdem zu gönnen – denn Handball ist heute attraktiver und agiler denn je.