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Archiv-Artikel

Eine Summe von Körpern

Real Madrid ist mit alten Problemen in die neue Saison gestartet: Dem Ruf, galaktisch zu sein, kann die Ansammlung von Weltstars erneut nicht gerecht werden. Heute ist das in Leverkusen zu sehen

AUS MADRID REINER WANDLER

Den Stand der Dinge wusste ABC in großen Lettern zusammenzufassen. „Real Madrid“, titelte eine der großen spanischen Tageszeitungen, „ist weiterhin eine schöne Fassade ohne Fußball dahinter.“ Ganze zwei Spieltage ist die Primera Division erst alt, und schon steht der hauptstädtische Club wieder im Kreuzfeuer der Kritik – und das mehr denn je. Zwar gewann die galaktische Elf um die Weltstars Raúl, Zinedine Zidane, Luis Figo, David Beckham und seit dieser Saison auch Michael Owen beide Spiele zum Saisonauftakt, doch das reicht nicht aus, wenn es um die Königlichen geht. Fans und Presse wollen nicht nur nüchterne Punkte sehen, sondern überzeugendes Spiel. Und das blieben die Weißen, die heute Abend (20.45 Uhr) in der Champions League bei Bayer Leverkusen ihr Glück versuchen, bisher schuldig. „Keine Dynamik, keine Energie, keine Kreativität, sondern das Wiedergekaute von eh und je“, befand El País nach dem als blamabel empfundenen 1:0-Sieg vom Sonntag gegen Aufsteiger CD Numanciam. „Nichts Neues unter der Sonne“, meinte dazu lapidar das Sportblatt As.

Der Kommentator von ABC wiederum hat den Grund allen Übels bereits ausgemacht. „Real ist eine Summe von Körpern, die der Trainer logisch auf dem Spielfeld anordnet – und die dort machen, was sie wollen“, teilte er mit – und nahm damit zumindest vorläufig José Antonio Camacho, den neuen Trainer, auf dem nach der titellosen Vorsaison so viele Hoffnungen ruhen, von der Kritik aus. Dennoch: Statt Aufbruchstimmung bekamen die Fans am vergangenen Sonntag die schlechteste Seite von Real Madrid zu sehen. Die Provinzkicker vom Aufsteiger setzten die Weißen von Anfang an unter Druck und brachten die Weltstars damit mehr als einmal in Verlegenheit. Wären da nicht die Freistoßkünste von David Beckham gewesen, Real Madrid wäre sang- und klanglos untergegangen. Im Spiel zuvor gegen Mallorca oder beim Miniturnier um die Trophäe Bernabeu, die Real alle Jahre stiftet, sahen die Weißen übrigens keineswegs besser aus.

Dabei ist die Krise des Ganzen durchaus der Krise seiner Teilchen geschuldet. Torjäger Raúl zum Beispiel steckt tief in einer solchen, ob in der Liga oder in der spanischen Nationalmannschaft muss er diese Saison mit einem Platz Bekanntschaft machen, den er so bisher nicht kannte: der Bank. Und sein Kompagnon Ronaldo wird von Spiel zu Spiel langsamer. „Dickerchen“ nennen die Fans die einstige Wunderwaffe des Fußballs, die nur noch funktioniert, wenn er den Ball direkt vor die Füße bekommt. Die Zeiten der schnellen Attacken, bei denen der brasilianische Ballkünstler gleich mehrere Gegenspieler austrickst, sind jedenfalls längst vorbei. Auch Zinedine Zidane hat trotz seines Versprechens, dieses Jahr alles zu geben, um einen wichtigen Titel nach Madrid zu holen, seine Form noch nicht wiedergefunden. Bleibt Kämpfer Luis Figo, der rennt und rennt und rennt. Doch wohin, das weiß er nicht, zu unstrukturiert erscheint die Mannschaft. So sollen lange Bälle die fehlenden herausgespielten Chancen ersetzen. Anstatt der begeisterten „Olés“ bekommen die Spieler dafür immer öfter Pfiffe zu hören.

Nur die Verteidigung steht diese Saison etwas besser als im vergangenen Jahr. Damals schoss zwar kein Team so viele Tore wie Real, allerdings kassierte auch keines so viele Gegentreffer. Ein Manko, das dazu führte, dass die hauptstädtische Equipe am Saisonende völlig ohne Titel dastand – und Trainer Camachos Wunsch von Vereinspräsident Florentino Pérez erhört wurde: Neben dem obligatorischen alljährlichen Einkauf eines Superstars, diesmal in Gestalt von Michael Owen vom FC Liverpool, bekam er auch den englischen Verteidiger Jonathan Woodgate als Verstärkung hinzu.

Auch wenn sich Camacho beim Spielereinkauf Gehör verschaffen konnte, in der Umkleidekabine scheint ihm das nicht zu gelingen. Er scheint gerade im Begriff – wie so mancher vor ihm – an den Superstars zu scheitern. Dabei hatte er durchaus hehre Pläne, Camacho wollte die Mannschaft motivieren und zusammenschweißen. Doch die Ballmillionäre geben sich, so jedenfalls hat es den Anschein, mehr dem Madrider Nachtleben hin als dem Fußball. Längst gehören die Liebesaffären von Roberto Carlos und Guti, die Untreue von Beckham (Versöhnung mit Victoria eingeschlossen) oder die Scheidung von Ronaldo sowie seine bevorstehende erneute Hochzeit zu den festen Bestandteilen der Klatschprogramme in Spaniens TV.

„Die Spieler sind Veteranen, die wissen, dass manchmal der letzte Spielzug reicht“, tröstet sich Trainer Camacho derzeit noch über diese Tatsache hinweg. Gegen Aufsteiger Numancia war dies mit dem Beckham-Freistoß der Fall. Ob diese Art, Fußball zu spielen, ausreicht, um in der Champions League erfolgreich sein zu können, darf hingegen bezweifelt werden.