: berliner szenen Wondratschek für 1 €
Der Ball ist eckig
Der Ball ist rund. Nein, ist er nicht. Er ist eckig, und das ist ja schon mal ziemlich schön, wenn so etwas Elementares offensichtlich falsch ist – hier am zentralen Informations- und Einstimmungspunkt für die Fußball-WM 2006. Die findet in Deutschland statt, das dann wieder ein bisschen mehr zu Germanien wird. Weil der Deutsche im Allgemeinen ja nicht der größte Euphoriker ist, fängt das Marketing eben jetzt schon mal an mit dem Stimmungsmachen. Für den Berlin-Tourismus ist es vielleicht auch ganz gut, dass am Brandenburger Tor, also da, wo das Adlon und der Pariser Platz das ungemütlichste Stück Berlin bilden, der Fußballglobus steht. Gebaut hat ihn André Heller. Trotzdem erwartet man irgendwie Großes an diesem symbolträchtigen Ort, in diesem riesigen Ball, der von den zwei mächtigsten Männern der Republik eröffnet wurde, Franz Beckenbauer und Gerhard Schröder.
2 Euro Eintritt, Fußball ist ja schließlich auch ein Geschäft, dann steil die Treppe rauf, und sofort geht’s los mit der unangenehmen Gänsehaut. Wüster Männer-Fangesang dröhnt aus den Boxen, Bälle rasen ins Auge, und alles ist voll gestopft mit orange schimmernden Monitoren. Angenehm sind nur die weißen Ledersessel in der Mitte. Rauchen oder Liebe machen geht natürlich nicht, weil da die offiziellen Mädchen in Adidas-T-Shirts sind, die aufpassen, dass die Euphorie schön brav bleibt. Vielleicht sollte man noch mal zum Kulturprogramm wiederkommen. Da gibt es zum Beispiel die Reihe „Dichter von Weltrang“, Wolf Wondratschek spricht. Schon für 1 Euro. Dann will man nur noch raus, aber die Rutschbahn ist gesperrt. „Nur im Gefahrenfall“, das sei der Notausgang, erklärt das Adidas-Mädchen.
HENNING KOBER
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