In der Knarre ein Kleeblatt
Kino der Attraktionen: Guillermo Del Toros Comicverfilmung „Hellboy“ freut sich am Crossover der Genres, Stile und Filmfiguren. Dem Helden bleibt dabei sogar noch Zeit für philosophische Exkurse
VON JAN DISTELMEYER
Gleich geht es los. Hellboy (Ron Perlman) steht vor einer schweren Tür, nachdem ihn ein Alarm – so rot wie der behörnte Spezialagent selber – auf den Plan gerufen hat. Nur noch eine kurze Bedrohungsanalyse durch seinen Agentenkollegen mit den Schwimmhäuten: Hinter der Tür lauert ein „dunkles Wesen, böse, alt und hungrig“. Und schon ist Hellboy auf dem Weg, diesem „Wesen“ amtlich ein paar zu verpassen. Come on, let's fight some monsters – genau, immerhin ist uns ein Action-Spektakel versprochen worden, reines Attraktionskino.
Als Tom Gunning zu Beginn der 1990er-Jahre die Rede vom „Kino der Attraktionen“ etablierte, hatte er eigentlich das Kino vor 1906 im Sinn. Doch was der Filmhistoriker beschrieb, zeigte so viel Nähe zum aktuellen Filmgeschehen, dass sein „Kino der Attraktionen“ bald auch zu einem Inbegriff für Hollywoods Blockbuster wurde. Beide Filmformen – die uralte wie die brandaktuelle – ließen sich mit Gunning als „exhibitionistisches Kino“ diskutieren, das im Ausstellen von Effekten in der Tradition von Zirkus, Varietee und Jahrmarktkultur wurzelt. Und wenn die Filme bis 1906 weniger durch den Plot als durch „die Präsentation von faszinierenden Schauwerten, von illusionärer Kraft und Exotismus“ angetrieben wurden, sind es nur ein paar Schritte zum heutigen Action-Kino.
Eine derzeit besonders beliebte Form der Attraktion, die auch Guillermo Del Toros Comicverfilmung „Hellboy“ zu bieten hat, ist die des Crossover. Nicht dass die Kombination von ehemals konkurrierenden Merkmalen und Markenzeichen etwas grundsätzlich Neues wäre: Seit dem bahnbrechenden Erfolg von George Lucas' Ritter-Fantasy-Wildwest-Sience-Fiction-Märchen „Star Wars“ triumphiert der viel beschworene „Genremix“, die Kreuzung von unterschiedlichen Genre- und Stil-Elementen. Auch Del Toro nimmt sich, was er braucht: einen sarkastischen Helden höllischen Ursprungs (angesiedelt irgendwo zwischen Shrek, Philip Marlowe und Jean Cocteaus Biest), Horror-Elemente, eine romantische Liebesgeschichte, Superhelden-Tragik, „Men in Black“- Monsterhatz, „Indiana Jones“-Archäologie und einiges mehr.
Aktuell fällt die Crossover-Bewegung aber noch durch etwas anderes auf: durch das gezielte Kombinieren von Personen und Markenzeichen der Kultur- und Filmgeschichte. Nachdem sich in Ronny Yus „Freddy vs. Jason“ zwei altgediente Horror-Stars bekämpft hatten, kommt im November das nächste Co-Branding: „Alien vs. Predator“, die Verfilmung des populären Videospiels. In Stephen Sommers' „Van Helsing“ warteten auf den Vampirjäger dementsprechend nicht nur Dracula nebst seinen Bräuten, sondern auch noch deren Babys, Dr. Jekyll und Mr. Hyde, Frankensteins Monster und der Wolfsmensch. Den Offenbarungseid dieses Prinzips leistete zuvor „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“: Europäische Romangestalten – von Rider Haggards „Quatermain“ über Bram Stokers „Mina Harker“ bis zu Oscar Wildes „Dorian Gray“ – halfen hier Tom Sawyer, beim Weltretten erwachsen zu werden. Keine Figur durfte in dieser Comicverfilmung mehr sein als die Ausführung einer hervorstechenden Eigenschaft. Wie leere Versprechen irrlichterten Gray & Co. durch ein extrem ordinäres Abenteuer, das den Helden weder ihre alte Geschichte lassen noch eine neue schenken konnte.
Auf den ersten Blick droht „Hellboy“ in diesen Trend zu passen. Immerhin bekommt es der Held aus der Hölle, jetzt aktiv in der geheimen US-Behörde zur Untersuchung und Abwehr paranormaler Erscheinungen, gleichzeitig mit altbiblischen Monstern, mit den Nazis, mit Rasputin und mit dem Teufel zu tun. Helfen werden ihm dabei sein „Vater“, Prof. Broom (John Hurt), der telepathisch begabte Kollege und Kiemenmensch Abe Sapien (Doug Jones), der unerfahrene FBI-Mann Myers (Jeffrey Tambor) und Hellboys große Liebe Liz (Selma Blair), die pyrokinetisch alles in Flammen setzen kann.
Was „Hellboy“ jedoch mit diesen Voraussetzungen anfängt, ist nichts Geringeres als eine Ehrenrettung des aktuellen Blockbuster-Konzepts zwischen Crossover und Spektakel. Dazu muss man nicht wissen, wie der rote Höllenjunge mit Schweif, Hörnern und rechter Steinhand einst im Zweiten Weltkrieg auf die Erde kam. Viel wichtiger ist der Istzustand, in dem es nun gegen Nazis und den Höllenpriester Rasputin geht: Inzwischen ist Hellboy erwachsen, meist mürrischer Laune, über zwei Meter groß und als lebende Legende auch eine – von ihm nicht sehr geschätzte – Comic-Figur. Außerdem schleift er sich die Hörner ab, um etwas menschlicher zu wirken: to fit in.
All das wird in einer solchen Kürze und Lakonie erzählt, als ginge es um Selbstverständlichkeiten. Und genau darum geht es: um einen ungemein selbstbewussten Umgang mit der eigenen Geschichte, sei es nun die des Helden oder die des Kinos der Attraktionen. Die smarte Gelassenheit, mit der das Schicksal, ein (verliebter) Freak zu sein, verhandelt wird, ohne damit die Actionszenen zu beschneiden, zeigt sich auf allen Ebenen. Einmal schiebt Hellboy eine selbst gefertigte Patrone in seine Riesenkanone und bemerkt, mit der Mixtur aus Weihwasser, Silberspänen, Kleeblättern und anderen bewährten Stoffen sei er für jeden Fall gewappnet. Sein Kommentar funktioniert zugleich als selbstironisches Crossover-Geständnis, am aktuellen Verwursten der Attraktionen Teil zu haben.
Die Nazis – ein schöner Kontrast zu Bernd Eichingers NS-Stadl „Der Untergang“ – sind hier nicht mehr als blutleere, buchstäblich gesichtslose Untote. Auch die Liebe zwischen Liz und Hellboy wird nicht lang erklärt, sie ist einfach da. Und so bleibt Del Toros Film noch Zeit, neben Hellboys Versuchung durch seine teuflischen Wurzeln einen kleinen philosophischen Überbau zu installieren. Der Held aus der Hölle stellt die Frage, was einen Menschen zum Menschen macht: seine Herkunft? Wie er auf die Welt kommt? „Nein“, lautet die Antwort am Ende, „es sind die Entscheidungen, die er trifft.“