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Archiv-Artikel

Irakischer Teufelskreis

Die USA sind mit ihrem Versuch jämmerlich gescheitert, Sicherheit und Demokratie im Zweistromland zu schaffen – über schlüssige Konzepte verfügen weder Bush noch Kerry

Der Zeitpunkt,an dem eine Internationalisierung denkbar gewesen wäre, scheint vorbei

In nur vier Monaten sollen im Irak Wahlen stattfinden – aber derzeit wäre wohl selbst die Eröffnung eines Supermarktes in Bagdads Haifastraße ein nicht zu realisierendes Unterfangen. Dennoch hält die US-Regierung an dem Wahltermin fest, als bedeute eine weitere Verschiebung das Eingeständnis vollständigen Scheiterns.

Gescheitert ist die Nachkriegspolitik im Irak allerdings längst. Der Irak – und damit auch die Anwesenheit US-amerikanischer Truppen in dem besetzten Land – sind in mehr als nur einem Teufelskreis gefangen. Der militärische Kampf gegen die Aufständischen schafft im Alltag der Menschen in den betroffenen Stadtteilen und Gebieten nicht mehr, sondern weniger Sicherheit – nicht nur durch Anschläge kommen regelmäßig Zivilisten ums Leben, auch durch US-Bomben und Raketen. Ließe man die Aufständischen jedoch gewähren, hieße das, die ohnehin schwache Interimsregierung weiter zu marginalisieren. Es wäre eine Einladung für Warlords, ein potenzieller neuer „safe haven“ für Terrororganisationen, die den Irak nach dem Krieg ohnehin als Operationsgebiet entdeckt haben. Nur: Solange es ausschließlich die US-Armee ist, die gegen die Aufstände vorgeht, haftet denen ein Hauch von legitimem Widerstand gegen die Besatzung an – zumal in einer Situation, in der nur sehr wenige Iraker das Gefühl haben können, es ginge ihnen jetzt besser als vor dem Sturz Saddam Husseins.

Der Aufbau irakischer Armee- und Polizeikräfte ist ein zentraler Schritt, um die Sicherheitslage zu verbessern und die übermäßige Präsenz der Besatzungstruppen abbauen zu können. Wenn es allerdings nicht einmal gelingt, Rekrutierungsbüros der Polizei vor Anschlägen zu schützen – erst am Dienstag wurde ein solches Büro zum Ziel eines der blutigsten Bombenanschläge mitten in Bagdad –, dann braucht sich niemand Illusionen darüber zu machen, wie schnell ein solcher Prozess vonstatten gehen könnte. Das sieht wohl auch die US-Regierung so, die gerade beschlossen hat, zusätzliche 3,4 Milliarden Dollar statt in die Infrastruktur in den Aufbau der Sicherheitskräfte zu stecken – was wiederum bedeutet, dass die Wasser- und Stromversorgung weiterhin mangelhaft bleibt.

Ohne Sicherheit aber kommt auch die Wirtschaft nicht in Gang. Der jüngste Bericht der International Crisis Group über den Wiederaufbau im Irak schildert eindrücklich, wie nahezu sämtliche Investitions- und Rekonstruktionsziele verfehlt werden. Das liegt nicht nur, aber eben auch an den Anschlägen, Morden, Erpressungen und Entführungen, denen bei weitem nicht nur Ausländer zum Opfer fallen, sondern auch – in absoluten Zahlen sogar mehr – Iraker. Ohne eine ausreichende Zahl von Sicherheitskräften gibt es keine Sicherheit. Doch kann der Aufbau von Armee und Polizei als legitime Ordnungsmacht nicht gelingen, wenn die Regierung, der sie unterstehen, weiterhin zu Recht in dem Ruf steht, lediglich eine Marionette der US-Regierung zu sein. Also doch Wahlen im Januar, unbedingt.

So markieren die massiven Militärschläge der US-Truppen in den vergangenen Tagen den Beginn einer Offensive mit dem Ziel, die außer Kontrolle geratenen Städte rechtzeitig zurückzugewinnen, um dort die Wahlen im Januar überhaupt abhalten zu können. Selbst wenn das – was mit guten Gründen bezweifelt werden kann – gelingen sollte, so reicht es doch keinesfalls aus. Solange Waffengewalt der sicherste Garant politischer Aufmerksamkeit ist, wird der Aufbau politischer Parteien, die über so etwas wie eine Basis verfügen und tatsächlich politische Strömungen innerhalb der Spielregeln artikulieren, kaum zu verwirklichen sein. Gibt es aber keine anerkannten Interessenvertreter, geraten auch Wahlen zur bloßen Formalität. Die Legitimität irakischer Herrschaft, die so dringend benötigt wird, ließe sich so nicht herstellen.

Ohne Sicherheit kein Wirtschaftsaufbau, ohne Wirtschaftsaufbau keine Entwicklung, ohne Entwicklung weitere Unzufriedenheit – und immer größere Anhängerschaften der verschiedenen Aufständischen. Ein Patentrezept, wie diese Logik zu durchbrechen sei, hat derzeit niemand – und wohl auch deshalb setzen die USA auf die Stärke, die sie unzweifelhaft haben: die militärische. Kohärent aber ist das alles nicht.

Die Irakdebatte im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf kreist deshalb wohl nicht zufällig um Fragen, die keiner Beantwortung mehr bedürfen – Präsident George W. Bush beschränkt sich darauf, den Irakkrieg weiter mit der vorgeblichen Bedrohung durch Saddam Hussein zu begründen, ihn in den Anti-Terror-Krieg einzuordnen und sich selbst als entschlossenen Führer zu porträtieren, der vor den Heerscharen der Bedenkenträger nicht zurückgewichen ist. Zu den aktuellen Entwicklungen und Schwierigkeiten sagt der Präsident meist gar nichts, und wenn doch, dann gibt er Durchhalteparolen aus.

Herausforderer John Kerry ist in einer noch schwierigeren Position: Auch er beschränkt sich auf die Vorkriegsargumente – die er selbst damals allerdings nicht einmal vertreten hat. Wie er im Irak weiter verfahren würde, sollte er tatsächlich im Januar ins Weiße Haus einziehen, sagt er nicht, nur, dass er die US-Truppen binnen vier Jahren aus dem Irak abziehen möchte. Solch eine Zeitschiene völlig unabhängig davon zu definieren, wie sich die Situation im Irak weiter entwickelt, ist bald noch fahrlässiger als das Bush-Mantra, man werde solange bleiben, bis die Mission erfüllt sei.

Der Aufbau von Polizei und Armee gelingt nicht, wenn die Regierung als US-Marionette gilt

Zu Recht forderte der Philosoph Francis Fukuyama diese Woche in der Financial Times, Kerry müsse einen Plan entwickeln, was seine Regierung im Irak zu tun gedenke. Das Gleiche allerdings müsste man der Bush-Regierung anraten – mit dem Unterschied, dass sie den Schlamassel selbst herbeigeführt hat, aus dem sich nun kein Ausweg mehr anzubieten scheint.

Ein verfrühter Abzug der US-Truppen hinterließe das Land im völligen Chaos, eine verfestigte Präsenz stärkt den Widerstand. Doch der Zeitpunkt, an dem eine Internationalisierung etwa durch eine Übernahme der UN denkbar gewesen wäre, scheint vorbei. In dieser verfahrenen Lage dürften sich kaum ausreichend Länder bereit finden, eine mit einem robusten Mandat ausgestattete UN-Truppe zu unterhalten.

Die USA stehen allein in der Verantwortung, dabei sind ihre ursprünglichen Anliegen schon jetzt Makulatur geworden. Denn die Vorstellung der US-amerikanischen Neokonservativen, den Irak nach dem Sturz Saddam Husseins zum demokratischen Modell für die gesamte Region aufzubauen, dem dann – mit US-amerikanischer militärischer Nachhilfe – auch mindestens Syrien, der Iran und womöglich Saudi-Arabien, ja der ganze Nahe und Mittlere Osten folgen könnten, ist gescheitert. Selbst wenn die derzeitige Katastrophe überwunden werden sollte, kann niemand mit Begeisterung auf die Entwicklung des Irak blicken und seinem eigenen Land eine ebensolche wünschen. Die Realität hat die Ideologie längst besiegt. BERND PICKERT