Dietrich Kittner, Kabarettist : Der ewige Klassenkämpfer
Die Frage ist ja, ob Kabarettisten naturgemäß scharfsichtiger sind als andere Leute. Und ob sie den real existierenden Politikern so überlegen sind, dass sie problemlos die Seiten wechseln können. Dietrich Kittner, Kabarettist und ewig überzeugter Kommunist, macht das nämlich gerade: Die niedersächsische Fraktion Die Linke wird ihn, wie Donnerstag bekannt wurde, in die Bundesversammlung entsenden, auf dass er am 23. Mai den neuen Bundespräsidenten mitwähle.
Eine interessante, wenn auch wenig brisante öffentliche Aufgabe, von der man hoffen mag, dass sie Kittner nicht nur aus Mitgefühl angesichts schwindender Zuschauer zuteil wurde. Denn zwar bezeichnen ihn die Pressestellen einschlägiger Bühnen immer noch als „einen der scharfzüngigsten Kabarettisten“, aber ein bisschen blättert der Lack eben doch: Immer noch mokiert sich Kittner großflächig über den Kapitalismus, was selbst Ostdeutsche im 20. Nachwende-Jahr kaum noch wagen. Und immer noch findet er erwähnenswert, dass „Menschenrecht“ Synonym für „Erdöl“ geworden sei, wenn es um die Rechtfertigung internationaler Kriege gehe.
Auch seine Wortspiele – „Im Westen nicht Treues“ oder „Wollt ihr den totalen Mief“ haben sich kaum verändert seit er 1961 beim Hannoverschen Ordnungsamt einen Gewerbebetrieb für politische Satire anmeldete. Anfangs trat er noch in Gruppen auf, zerstritt sich aber bald und tourt seit 1966 als Solist und spielte bis 2006 im Hannoverschen tak, dem Theater am Küchengarten.
Inzwischen bespielt Kittner von Österreich aus deutsche Bühnen, und niemand wird bestreiten, dass die von ihm geschätzten Tucholsky, Brecht und Weinert stetig aktuell sind. Irritierend ist aber jene für Alt-Linke so bezeichnende Mumifizierung des Feindbildes, die suggeriert, dass die Welt nach wie vor in Schwarz und Weiß zu unterteilen und also leicht zu bessern sei. Auch Tourneen ins Vorwende-Osteuropa samt real existierendem Sozialismus änderten daran nichts. Und so wirkt der immer noch forsch singende und rezitierende Kittner wie ein Relikt aus einer anderen Zeit: jener, in der der Klassenkampf-Song noch geholfen hat. PETRA SCHELLEN
Fotohinweis:DIETRICH KITTNER, 73, brach 1960 sein Jurastudium ab und gründete dann das Göttinger Kabarett „Die Leid-Artikler“. FOTO: DPA