Totschlag aus Naivität

Landgericht verhandelt erneut über Fall der Sterbehilfe: Zivildienstleistender hatte Behinderten auf eigenen Wunsch auf den Müll gelegt. Wo der Mann erstickte

Er soll genau gewusst haben, bei wem er seine Wünsche durchsetzen kann und bei wem nicht. Und als der neue Zivildienstleistende Jörg R. vor ihm stand, habe Niels S. geahnt, dass der ihm bei der Verwirklichung seines Planes behilflich sein werde: Dem Plan, aus dem Leben zu scheiden.

Das Landgericht hat im vorigen Oktober den Zivildienstleistenden freigesprochen, der den schwerbehinderten Niels S. im Februar 2001 in seinem Pflegeheim nackt auszog, in Plastiksäcke packte, ihm den Mund verklebte und den 28-jährigen Mann in einer Mülltonne deponierte – wo S. dann erstickte. Denn die Initiative sei von dem Muskelschwund-Patienten ausgegangen und sein Zivildienstleistender mit der Situation überfordert gewesen: „Es war eine von Naivität und Vertrauensseligkeit geprägte Tat.“ Der BGH aber hat den Fall anders beurteilt und ans Landgericht zurückverwiesen. Das verhandelt seit gestern erneut den Fall, der sich in der Eppendorfer Zinnendorf-Stiftung abspielte. Die Anklage sagt, der damals 20-Jährige habe einen Totschlag begangen.

Der BGH hat daran erinnert, dass es kein Recht zur aktiven Sterbehilfe gibt – auch dann nicht, wenn ein behinderter Mensch nicht in der Lage ist, sich selbst das Leben zu nehmen. „Der Senat verkennt nicht“, heißt es in der Entscheidung des BGH, „dass es Niels S. verwehrt war, ohne die strafrechtliche Verstrickung Dritter aus dem Leben zu scheiden.“ Daraus aber könne sich kein Recht auf aktive Sterbehilfe ableiten, ein solches sei verfassungsrechtlich nicht anerkannt. Und Jörg R. sei sich durchaus im Klaren darüber gewesen, dass Niels S. in der Mülltonne zu Tode kommen könnte. Es war Februar, die Temperaturen lagen um den Gefrierpunkt. Niels S. war auf ein Beatmungsgerät angewiesen, sein Zivildienstleistender aber hatte ihm den Mund mit Klebeband zugeklebt. Und zwar habe der Muskelschwund-Patient seinem Pfleger gegenüber behauptet, er habe sich schon öfters in den Müll legen lassen und werde am Nachmittag von einem anderen Pfleger wieder daraus befreit. Der Verweis auf diesen unbekannten Dritten aber habe nicht sein Bewusstsein „über die über Stunden andauernde Gefährung beseitigt“, hielt der BGH dem Angeklagten vor.

Der sitzt wie ein Häufchen Elend vor dem Gericht, hinter ihm sein Vater, der den inzwischen 23-Jährigen zum Verfahren begleitet hat. Da die Beweisaufnahme den Kernbereich der Privatsphäre des Angeklagten berühren wird und dieser zum Tatzeitpunkt noch Heranwachsender war, ist die Öffentlichkeit bis zu den Plädoyers ausgeschlossen. ELKE SPANNER