Wahlverlierer in Siegerlaune

„Für die Gesamtpartei“, sagt SPD-Chef Müntefering, „ist dieses Wochenende ein erfreuliches Ereignis.“ Kann man das so sagen? Man kann

Teilnehmer der CDU-Vorstandssitzung beschreiben die Stimmung als „bedrückt“

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Ein Regierungssprecher muss sich, das gehört zu seinem Job, stets so staatstragend wie nur irgend möglich äußern. Deshalb sagt Regierungssprecher Thomas Steg an diesem Montag nach den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen, die Bundesregierung sei „außerordentlich besorgt“ – über den Erfolg der Rechtsextremen. Diese Sorge mag es zwar tatsächlich geben bei Rot-Grün, und sie ist ja auch mehr als berechtigt an einem Tag, an dem weltweit über das Wiedererstarken der Neonazis in Germany berichtet wird. Doch wenn es um die Stimmung der Regierung geht, beschreibt das Wort „besorgt“ nur einen Teil der Wahrheit. Einen kleinen.

Die Parteistrategen bei SPD und Grünen sind, rechte Erfolge hin oder her, vor allem eines: außerordentlich erleichtert. „Für uns auf jeden Fall gut“ – so kommentiert SPD-Vorstandsmitglied Niels Annen die Wahlen. „Für die Gesamtpartei“, sagt auch SPD-Chef Franz Müntefering, „ist dieses Wochenende ein erfreuliches Ereignis.“ Erfreulich? Man denkt zunächst, man habe sich verhört. Kann es die SPD allen Ernstes „erfreulich“ finden, dass sie in Brandenburg gerade noch über 30 Prozent gelandet ist, dass sie in Sachsen mit weniger als 10 Prozent nur noch ganz knapp vor der NPD rangiert? Sie kann.

Weil es so viel schlimmer hätte kommen können. Der Sonntag, hatten vorher einige befürchtet, hätte zum Anfang vom Ende für Rot-Grün werden können. Wenn die CDU in Sachsen ihre absolute Mehrheit behalten hätte, hätte der Union nur noch ein Wahlsieg in Nordrhein-Westfalen im Mai 2005 gefehlt, um im Bundesrat per Zweidrittelmehrheit Rot-Grün total blockieren zu können. Hätte, wäre, wenn.

Ausgerechnet die erneut geschrumpfte Sachsen-SPD wird vermutlich mitregieren

Um fünf vor zwölf am Sonntagabend kam die Nachricht, die Rot-Grün die schlimmsten Sorgen nahm und die aus dem Unter-10-Prozent-Desaster der SPD in Sachsen einen Sieg machte. Mit dem amtlichen Endergebnis stellte sich heraus, dass es nicht reichen wird für Schwarz-Gelb in Sachsen, weil die Grünen den Einzug in den Landtag doch noch (mit 5,1 Prozent) schafften. Das bedeutet: Ausgerechnet die winzigkleine, erneut geschrumpfte Sachsen-SPD wird vermutlich mitregieren, weil die CDU keine Alternative hat. Das wiederum bedeutet: Bei wichtigen Abstimmungen im Bundesrat muss sich Sachsen künftig enthalten. „Damit haben wir selber nicht gerechnet“, sagt SPD-Vorständler Annen. „Damit verändert sich das Drohpotenzial vor den nächsten Wahlen gewaltig.“ Die für Rot-Grün schauerliche Blockademehrheit für die Union könnte jetzt nur noch zustande kommen, wenn die Union beide Frühjahrswahlen gewinnt, also neben NRW auch in Schleswig-Holstein. Daran glauben jedoch selbst in der Union nur wenige, weil der CDU-Spitzenkandidat im Norden, Peter Harry Carstensen, bisher alles andere als überzeugend auftritt. Grund genug für die SPD, vom tiefen Pessimismus der letzten Wochen auf überschäumenden Optimismus umzuschalten. Generalsekretär Klaus Uwe Benneter geht sogar so weit, von einer „Trendwende“ zu sprechen. Man habe im SPD-Präsidium, so Benneter, „übereinstimmend festgestellt“, dass die Wahlergebnisse in Brandenburg und Sachsen „auch die Bundespolitik beflügeln“, dass „der Wind sich dreht“, dass „unser Trend nach oben“ geht. Letzteres stimmt zwar nur, wenn man als Vergleichswert die Umfragen vor den Wahlen nimmt. Und wenn man es als „Trend nach oben“ ansieht, dass man trotz Verlusten mitregieren darf. Wichtiger für die SPD und Rot-Grün ist aber, dass Benneter mit einer – schadenfrohen – Aussage zweifelsohne Recht hat: „Der Trend von CDU/CSU geht nach unten.“ Zum ersten Mal seit langem hat die Union bei Landtagswahlen massiv Stimmen eingebüßt – in Sachsen 15 Prozentpunkte.

Teilnehmer der CDU-Vorstandssitzung beschrieben die Stimmung im Konrad-Adenauer-Haus denn auch als „bedrückt“. Noch ist nicht klar, welche Folgen die Verluste für Parteichefin Merkel haben. Einig waren sich in der Union nur alle, dass der innerparteiliche Streit um die Reformprogramme bald beendet werden müsse. Fragt sich nur, wie. Wichtige Unionspolitiker wie NRW-Landeschef Rüttgers sind bereits von Merkels Radikalkonzepten in der Gesundheitspolitik abgerückt. Die CSU ist eh dagegen. Spätestens „Ende des Jahres“, auf dem CDU-Parteitag im Dezember, werde es „Klarheit“ geben, so Merkel. Die plötzlich wieder optimistische SPD verfolgt den Machtkampf in der Union gelassen. „Ich hoffe, dass sie sich eindeutig für die Kopfpauschalen aussprechen“, sagt Annen. Dann nämlich könnte sich der Eindruck verstärken, der Rot-Grün schon am Sonntag geholfen hat: Bei den anderen, also der Union, wird alles nur noch schlimmer.