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Archiv-Artikel

Hartz IV klemmt in den Steckdosen

Sozialstadträte beklagen die komplizierten Vorgaben des Bundes für die neu einzurichtenden Jobcenter. Auch das Personal für die Bearbeitung des Arbeitslosengelds II ist noch nicht gefunden. Arbeitsamtschef rät: Anträge abgeben

Es gibt im Zusammenhang mit Hartz IV und der Umsetzung der Arbeitsmarktreform immer wieder unglaubliche Entdeckungen. Nämlich die einer Art Pflichtenheft. Damit schreibt die Bundesagentur für Arbeit offenbar vor, wie jene Jobcenter auszusehen haben, die dermaleinst fördern und fordern sollen. Bis hin zu Steckdosen und Türklinken gibt es Vorgaben. Auch darüber ließen Sozialstadträte aus den Bezirken gestern im Abgeordnetenhaus ihren Frust ab. Zudem fehlt Personal, um die Anträge auf das neue Arbeitslosengeld (Alg) II zügig abzuarbeiten. Der Senat beriet in einer Klausurtagung weitere Schritte (bei Redaktionsschluss noch nicht beendet).

Alg II, das rund 260.000 Berliner betrifft, fasst die bisher vom Sozialamt beziehungsweise von der Arbeitsagentur gezahlte Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusammen. Die zentralistische Steckdosenvorgabe aber tut das ihre dazu, dass aus der von der Bundesregierung geplanten „Betreuung aus einer Hand“ ab 1. Januar vielerorts nichts wird, denn sie erschwert die Standortfindung. Derzeit läuft noch in jedem zweiten Bezirk die Suche nach einem Jobcenter. Einen Standort haben erst Treptow-Köpenick, Spandau, Tempelhof-Schöneberg, Lichtenberg und Neukölln gefunden.

Als problematisch stellten mehrere Sozialstadträte in der gestrigen Sitzung des Arbeitsausschusses auch die Personallage dar. Nach ursprünglicher Planung sollte der so genannte Stellenpool einen großen Teil des Problems lösen. Dort sammelt der Senat Mitarbeiter, die als überzählig gelten. Die aber wären teils nicht qualifiziert, teils nicht motiviert, war gestern zu hören.

Der Berliner Regionalchef der Arbeitsagentur, Rolf Seutemann, rechnete vor, dass den Jobcentern noch 1.140 Leute oder ein Drittel des nötigen Personal fehle. Neben Beschäftigten des Landes soll der Bund aushelfen, weitere Leute sollen bei Arbeitsvermittlern eingekauft werden. Seutemann appellierte zudem an Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, ihre Alg-II-Anträge zügig abzugeben. Bislang lägen erst 22 Prozent der Anträge vor.

Vergangene Woche hatten bereits die Bezirksbürgermeister starke Zweifel am Hartz-IV-Start zum 1. Januar geäußert. Heinz Buschkowsky, SPD-Bürgermeister im Hartz-Schwerpunkt Neukölln, prognostizierte ein späteres Datum, falls die notwendige Software für die Umstellung nicht bis Ende Oktober komplett vorhanden sei. Die Senatsverwaltung für Soziales hatte dem widersprochen. Zur Frage möglicher Zwangsumzüge wegen Hartz-IV-Bestimmungen sagte Senatorin Heidi Knake-Werner (PDS), sie gehe davon aus, dass die meisten zukünftigen Alg-II-Bezieher bereits in angemessenen Wohnungen lebten.

STEFAN ALBERTI