piwik no script img

Archiv-Artikel

Generation Atari

Die Computerspiel-Zeitschrift „Games TM“ will eine ältere Zielgruppe ansprechen als herkömmliche Magazine

Für eine neue Zeitschrift klingt es etwas resigniert: „Je älter wir werden, desto mehr schwindet unsere Lust am Videospielen.“ Das steht im Editorial des neuen Magazins Games TM, das gerade erschienen ist. Die Redaktion beeilt sich natürlich gleich hinterherzuschicken, dass sie ein probates Gegenmittel gegen die Gamer-Unlust anzubieten hat: ihre eigene Zeitschrift natürlich, die dem in die Jahre gekommenen Computerspiel-Freak eine Überblick über die schier unüberschaubare Flut von Game-Neuveröffentlichungen bieten will.

Die Zeitschrift richtet sich an Computerspiel-Fans, die Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre mit den ersten Videospielkonsolen und den frühesten Personal-Computern als Spieler sozialisiert worden sind. Die einstigen Nutzer von Commodore 64 oder Atari 2600 sind inzwischen aus dem Teenageralter heraus, was aber nicht bedeuten muss, dass sie nicht mehr am Rechner spielen.

Denn entgegen dem landläufigen Klischee sind Computerspieler keineswegs durch die Bank pickelige Bürschchen – der durchschnittliche Gamer ist nach Erhebungen der Videospiel-Industrie in Deutschland Anfang 30, in den USA sogar schon Mitte 30.

Computerspiele haben die Einnahmen, die man mit Popmusik und Kino erzielen kann, lange hinter sich gelassen. Doch obwohl sie sowohl in wirtschaftlicher wie künstlerischer Hinsicht zu den dynamischsten Bereichen der Popkultur gehören, ist eine kritische wie ästhetische Auseinandersetzung mit ihnen bislang weitgehend ausgeblieben. Im deutschen Feuilleton spielen Games auch vierzig Jahren nach ihrem Entstehen kaum eine Rolle. Und die meisten der mehr als 50 Computerspiel-Zeitschriften, die in einem durchschnittlichen Kiosk die Regale überquellen lassen, kommen über das Niveau von Testheften nicht hinaus.

In diese Marktlücke will Games TM nun vorstoßen und sich stärker den kulturellen Aspekten von Videospielen widmen. Das zweimonatliche Heft, das die Lizenzausgabe eines britischen Magazins ist, richtet sich an Menschen, die nicht mehr jede Spielneuerscheinung vorgestellt bekommen wollen. Darauf konzentriert sich schon die Konkurrenz von Games TM mit Hingabe und Detailfreude.

Statt minutiöse Überprüfungen von Grafik, Geschwindigkeit und „Gameplay“ im eigenen Computerlabor zu bieten, richtet Games TM sein Augenmerk vor allem auf ungewöhnliche Produktionen jenseits der populären Baller- und Sport-Spiele – zum Beispiel auf das an der Ästhetik von „Graphic Novels“ orientierte Actionspiel „XIII“.

Ausführlich huldigt das Blatt auch dem „Retrocomputing“ – also der Begeisterung für Computer-Oldtimer aus den letzten dreißig Jahren. Leider ist allerdings zum Beispiel der Rückblick auf die legendäre erste Atari-Spielkonsole so oberflächlich, dass selbst eine flüchtige Internetrecherche gründlichere Information zu Tage fördert.

Wer auf brillante Analysen und eine intellektuelle Auseinandersetzung mit Games hofft, dürfte ebenfalls enttäuscht werden: ein Artikel über die Unterschiede zwischen 2D- und 3D-Games enthält zwar interessante Beobachtungen und viel Detailwissen, ist aber in einem so fürchterlichen Kauderwelsch geschrieben, dass ihn nur hartgesottene Gamer verstehen dürften. Ob die allerdings den gesalzenen Preis von 7,90 Euro für eine Zeitschrift zahlen werden, die in vieler Hinsicht einschlägigen Internetforen unterlegen ist, bleibt abzuwarten. Die merkwürdige Gepflogenheit, Zitate aus Pressemitteilungen von Computerspielherstellern unkommentiert wie Episteln abzudrucken, dürfte ebenfalls nicht zum Ruf eines unabhängigen Magazins beitragen.

Das Bedürfnis, Computerspiele stärker als Kultur zu beschreiben, hat allerdings inzwischen auch andere Zeitschriften-Neugründungen inspiriert. Bereits seit August erscheint mit Game Face aus Berlin ein Blatt, das sich ausdrücklich einer kulturwissenschaftlichen Betrachtungsweise von Computerspielen verschrieben hat. Und Ende Oktober soll mit GEE aus Hamburg ein weiteres Heft auf den Markt kommen, das Games als Kulturgut ernst nehmen will.TILMAN BAUMGÄRTEL