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Archiv-Artikel

Die Staatsgewalt geht dem Volke aus

Verfassungsklage gegen den Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser führt zu heftiger Debatte in der Bürgerschaft. CDU-Mehrheit steht zur Veräußerung, SPD und GAL sprechen von Volksverdummung und Verfassungsbruch

Von Sven-Michael Veit

Michael Neumann zog voll vom Leder. Das Verhalten von Senat und CDU sei nicht nur „Ausdruck der Arroganz der Macht“ und mindestens „moralischer Verfassungsbruch“. Sondern auch „Wasser auf die Mühlen“ von Rechtsextremisten. Wer sich mit dem Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) „so über die Entscheidung der Bürger unserer Stadt hinwegsetzt“, befürchtete der SPD-Fraktionschef, „treibt Menschen wie am Sonntag in Sachsen und Brandenburg in die Arme von NPD und DVU“.

Für solcherlei Aufregung in der Bürgerschaft sorgte die Aufforderung des Hamburger Verfassungsgerichts, das Landesparlament möge eine Stellungnahme zur Verfassungsklage gegen den LBK-Verkauf abgeben. Diese hatte die Volksinitiative „Gesundheit ist keine Ware“ erhoben, um den vom Senat angekündigten Verkauf der städtischen Kliniken an den privaten Konzern Asklepios zu verhindern.

Eine gemeinsame Stellungnahme des Parlaments aber war nicht in Sicht: Die CDU-Mehrheit ist für den Verkauf, SPD und GAL fordern, die Volksinitiative zu unterstützen. Diese hatte am 29. Februar einen Volksentscheid durchgeführt, in dem sich mehr als 600.000 HamburgerInnen gegen die Privatisierung des LBK ausgesprochen hatten.

Weil der Senat dieses Votum ignoriert, muss nun das höchste Hamburger Gericht entscheiden. Und zwar im Sinne des Senats, befand CDU-Fraktionschef Bernd Reinert. Es sei geradezu „die Pflicht der Bürgerschaft, dieser Klage entgegenzutreten“. Denn der Volksentscheid sei „nur ein unverbindliches Ersuchen“ gewesen, und das könne den Gesetzgeber nicht daran hindern, dem Verkauf der Krankenhäuser zuzustimmen: „Dieser Volksentscheid bindet die Bürgerschaft nicht“, so Reinert, die Abgeordneten seien „in ihrem Handeln frei“.

Die Opposition hingegen sei drauf und dran, „die Rechte des Parlaments zu beschneiden“, und da spiele die Union nicht mit, kündigte Reinert an. Mit der Mehrheit seiner Fraktion werde das Parlament beschließen, vor dem Verfassungsgericht die Zurückweisung der Klage der Volksinitiative zu beantragen.

Genau das beschloss die Union denn auch, womit ihre Position dem Gericht als Stellungnahme der gesamten Bürgerschaft zugeleitet werden wird. Zwei im Grundsatz fast gleich lautende Anträge von SPD und Grünen, der Verfassungsklage „zu folgen“ oder ihr „im Wesentlichen zuzustimmen“, wurden abgelehnt.

Die CDU-Position sei „Volksverdummung“, hatte zuvor GAL-Fraktionsvize Christian Maaß erklärt. Die Einführung von Volksbegehren sei „als Gegenmittel gegen Politikverdrossenheit“ gedacht gewesen. Genau diese werde aber gefördert, wenn ein Volksentscheid zur „bloßen Empfehlung“ degradiert werde, „über die sich Politiker willkürlich hinwegsetzen“ dürften: „So produziert man Nichtwähler“, prophezeite er, „so produziert man Wähler von Populisten und auch von Neonazis“. Im Grundgesetz sei zu lesen, so Jurist Maaß, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgehe – Senat und CDU aber zielten darauf, „dass die Staatsgewalt dem Volke ausgeht“.

Auch Neumann hatte vehement davor gewarnt, „aus der Volksgesetzgebung einen Papiertiger zu machen“. Wenn Senat und Bürgerschaft „den politischen Auftrag“ des Volksentscheides nicht respektierten, sei das ein Ausdruck von „Überheblichkeit und Machtverliebtheit“.

Als Bürgermeister Ole von Beust (CDU) im Juli den Beschluss verkündete, den LKB trotz des Volksentscheides zu verkaufen, hatte er eingeräumt, bei der nächsten Bürgerschaftswahl in drei Jahren könne er dafür „vielleicht die Quittung erhalten“. Für die Opposition ist das keine Frage mehr.