Schüler-Lärm macht Lehrer krank
Wissenschaftler haben Bremer Lehrer auf Herz und Nieren untersucht und herausgefunden: Ihr lauter Arbeitsplatz macht Pädagogen mürbe. Die Forscher klagen über angebliches Desinteresse des Bildungssenators, Lemkes Sprecher widerspricht
Bremen taz ■ Fast jeder kennt einen, viele lästern über sie: ausgebrannte Lehrer, am Burnout-Syndrom laborierende Pädagogen. Ein Bremer Forschungsteam aus Medizinern, Pädagogen und Messtechnikern hat sich dem Phänomen streng wissenschaftlich angenommen: 178 LehrerInnen haben sie an fünf Bremer Schulen beobachtet: an drei Grundschulen, einem Schulzentrum der Sekundarstufe I und einer Gesamtschule.
Obwohl die Untersuchung des Instituts für Interdisziplinäre Schulforschung, das an der Bremer Uni angesiedelt ist, schon beinahe fünf Jahre her ist, gingen die Forscher erst jetzt mit den Ergebnissen an die Öffentlichkeit. Zum einen vermissen sie nämlich eine Reaktion des Auftraggebers – die Studie hatte die damalige Bildungssenatorin Bringfriede Kahrs (SPD) 1998 bestellt – zum anderen arbeitet das Institut derzeit an einem Forschungsauftrag, der auf den Erkenntnissen von damals aufbaut.
Das ernüchternde Fazit der ersten Studie lautete: „Lehrerinnen und Lehrer sind hohen und nicht ausreichend kompensierten psychischen und körperlichen Anforderungen ausgesetzt.“ Viele Pädagogen litten unter Ernährungsstörungen, Beschwerden im Bewegungsapparat sowie Kreislaufproblemen. Hinzu kämen erhöhte Reizbarkeit, Schlafstörungen und Konzentrationsmängel. All das zwinge nicht wenige „zur vorzeitigen Beendigung des Berufslebens.“
Die Bremer Forscher hatten den Unterrichtsverlauf beobachtet und nahmen bei ihren Test-Pädagogen Langzeit-EKGs auf – jede An- oder Entspannung wurde protokolliert. Außerdem mussten die Lehrer einen 135 Einzelfragen umfassenden Erhebungsbogen ausfüllen. Dabei wollen die Wissenschaftler herausgefunden haben, dass Lärm einer der größten Belastungsfaktoren für Lehrer ist. Deswegen sind sie derzeit im Auftrag des Dortmunder Bundesinstituts für Arbeitsschutz dabei, an vier weiteren Schulen im Land Bremen intensiv die Lärmbelastung zu untersuchen.
„Viele Klassenräume haben eine miserable Akustik, da herrscht ohrenbetäubender Lärm“, sagt Gerhart Tisler, der Sprecher der Forschergruppe. Dabei würde es genügen, im Zuge von Sanierungsarbeiten „eine vernünftige Akustikdecke einzuziehen“, um den Nachhall deutlich zu verringern. Außerdem rät die Forschergruppe der Bildungsbehörde dringend, Lehrern Hilfestellung bei Gesundheitsvorsorge und Zeitmanagement zu geben. So seien etwa neunzigminütige Doppelstunden „eigentlich eine Zumutung“, sagt Tiesler. Man könne sich maximal 45 Minuten lang konzentrieren, eine danach folgende – nicht selten mit Organisationskram ausgefüllte – Fünf-Minuten-Pause biete keinerlei Erholung.
Zwar habe man Bildungssenator Willi Lemke (SPD) im Jahr 2001 einen dicken Projektbericht vorgelegt, „doch die Resonanz war nicht sonderlich“, klagt Tiesler. Bis heute gebe es „keine richtige Rückmeldung aus der Behörde.“ Auch zum Runden Tisch Bildung sei keiner der beteiligten Forscher eingeladen worden. Lemkes Sprecher Rainer Gause-pohl weist die Vorwürfe entschieden zurück. Die Studie von Tiesler und anderen sei „nicht die einzige dieser Art“. Man biete seit Jahren „gezielte Beratungs- und Fortbildungsangebote zur Stressbewältigung“ an, 500 Lehrkräfte hätten schon daran teilgenommen. Längst liefen auch Projekte zur besseren Organisation des Schulalltags. Außerdem empfange der Bildungssenator regelmäßig „verdiente Lehrer“ zu einer Tasse Kaffee. Markus Jox