: Die glückliche Bohne
VON DOMINIC JOHNSON
Der Legende zufolge wurde Kaffee im 9. Jahrhundert von einem äthiopischen Ziegenhirten entdeckt, der sich wunderte, warum seine Tiere immer so aufgeputscht herumtanzten, als sie die kleinen roten Bohnen von den Bäumen gefressen hatten. Nachdem er die euphorisierende Wirkung an sich selbst getestet und begeistert seinem Priester mitgeteilt hatte, trat die Droge aus der äthiopischen Provinz Kaffa ihren Siegeszug rund um den Globus an – aus Ostafrika nach Arabien, von dort nach Europa und dann mit der kolonialen Expansion nach Amerika und Asien. Der in Plantagen organisierte Anbau von Kaffee in Südamerika und neuerdings Südostasien verdrängte die afrikanischen Kleinbauern vom Weltmarkt. Aber jetzt schlägt Ostafrika zurück: mit der Marktnische des hochwertigen, umweltverträglich angebauten und zu fairen Handelsbedingungen angebotenen Kaffees.
Dumpingpreise
Es ist höchste Zeit. Nie wurde auf der Welt so viel Kaffee getrunken wie heute, aber nie verdienten die Bauern daran so wenig. Anfang der Neunzigerjahre gaben die Verbraucher weltweit 30 Milliarden Dollar für Kaffee aus, heute sind es 70 Milliarden – aber das Geld, das bei den Produzenten ankommt, ist zugleich von zehn auf knapp über fünf Milliarden Dollar gesunken. 2002 erreichten die Weltmarktpreise für Kaffee inflationsbereinigt ein 100-Jahres-Tief. Äthiopien exportierte 113.000 Tonnen Kaffee in der Saison 2000/01 und 126.800 in der Saison 2002/03 – aber die Einnahmen sanken von 205 auf 161 Millionen Dollar.
Es gibt, das ist Branchenkonsens, viel zu viel schlechten Kaffee zu Schleuderpreisen – und zu wenig guten, der eben teurer ist. Quantitativ können die Kleinbauern von Äthiopien und Uganda mit den Großplantagen von Kolumbien und Vietnam kaum konkurrieren – qualitativ schon.
Äthiopien, das Ursprungsland des Arabica, und Uganda, das Ursprungsland des Robusta, sehen sich als Vorreiter beim Versuch einer Trendumkehr. Äthiopien hat dabei den Vorteil, neben Brasilien das einzige Land der Welt zu sein, das seinen eigenen Kaffee auch gerne selber trinkt und in der Zubereitung des Espresso Spitzenqualität erreicht – ansonsten werden Kaffeebohnen in Ostafrika auch gekaut, wie Kokablätter in Südamerika. Uganda weiß im eigenen Land mit Kaffee wenig anzufangen, hat sein Produkt aber zum unverzichtbaren Bestandteil des feinsten italienischen Espresso gemacht.
Die Strategie besteht in beiden Ländern darin, die Besonderheiten des Standorts hervorzuheben. Kaffee wächst hier natürlich; er muss nicht erst mit teuren chemischen Düngern und Pestiziden heimisch gemacht werden. Weil es Kaffeesträucher schon immer gibt, gehören sie außerdem zur bäuerlichen Landwirtschaft genauso dazu wie Hühner und Ziegen, und daher ist es entwicklungspolitisch sinnvoll, den Anbau zu fördern.
Von Natur aus ökologisch
Und mit einiger Sorgfalt bei der Trocknung, Röstung und Vermarktung der Bohnen kann man regionalspezifische Edelkaffees anbieten, die nicht in Mischungen untergehen, sondern sich ähnlich wie gute Weine unter geschützten Markennamen zu hohen Preisen auf dem Markt behaupten. Der Förderung des teuren, aber mit reinem Gewissen zu genießenden Markenkaffees hat sich die ostafrikanische Produzentenvereinigung East African Fine Coffees Association (EAFCA) verschrieben. Sie hielt im Februar 2004 eine erste ostafrikanische Edelkaffeemesse in Nairobi (Kenia) ab. Anfang Oktober wird in Uganda die erste Afrikakonferenz der International Federation of Organic Agriculture Movements stattfinden.
Äthiopien sagt gerne, sein Kaffee sei komplett ökologisch – kein Wunder, haben doch die äthiopischen Kleinbauern überhaupt kein Geld für chemische Dünger. Über die Hälfte des äthiopischen Kaffees wird aus Wäldern geerntet, zehn Prozent sogar von wilden Kaffeebäumen. Den Weltmarkt des als organisch gekennzeichneten Kaffees – derzeit 15.000 bis 20.000 Tonnen im Jahr, der meiste aus Costa Rica, Kolumbien und Brasilien – könnte Äthiopien problemlos aufrollen. Vor zwei Jahren kündigte der staatliche äthiopische Kaffeeverband ein Programm zur Zertifizierung von Kaffeebauern an, um sein zertifiziertes Bioproduktionspotenzial auf 5.000 Tonnen im Jahr zu erhöhen; allein der Sidama-Verband will davon 620 Tonnen liefern. Wenn dies Realität wird, ist Uganda, Afrikas größter Exporteur von zertifiziertem Biokaffee mit derzeit 850 Tonnen pro Jahr, abgehängt.
Die größte Hürde für die ökologischen Kaffee-Exporteure besteht in der Zertifizierung. Die Bauern müssen sich strengen Kontrollen durch Umweltexperten aus den Abnehmerländern, auch Deutschland, unterwerfen. Für das Zertifikat müssen die Kaffeebauern nachweisen, dass sie nur natürlichen Dünger einsetzen und bei der Trocknung der Bohnen hohe Mindeststandards einhalten. Dies zu prüfen dauert Jahre und ist teuer. „Eine Lizenz, um organischen Kaffee zu verkaufen, kostet um die 20.000 Euro pro Jahr; kein Bauer kann sich dies leisten“, kritisiert der deutsche Experte Mattis Hahn in Bezug auf Tansania. Dazu kommt, dass zur Einhaltung der Zertifizierungsstandards Investitionen nötig sein können: Für natürlichen Dünger braucht der Bauer Vieh, für die korrekte Trocknung bestimmte Materialien und Werkzeuge.
So erzwingt der Trend zum Biokaffee den Zusammenschluss der Kleinbauern – nicht nur in Kooperativen, sondern in Verbänden von Kooperativen. Sie lösen sowohl die auf sich gestellten Bauern und Dorfkooperativen Burundis oder Ugandas wie auch die heruntergewirtschafteten Kollektive Tansanias und Äthiopiens ab. Der Kooperativenverband übernimmt die Vermarktung und organisiert die Zertifizierung, wenn es um Biokaffee geht; und er bezahlt die Bauern.
Der Vorteil für die Bauern: Sie müssen Investitionen nicht selbst finanzieren und haben ein garantiertes Einkommen. Der Nachteil: Sie sind ständig mit ihrem eigenen Kaffee bei dem Kooperativenverband verschuldet, weil sie immer vorab für die kommende Ernte bezahlt werden. Und sie können nichts machen, wenn der Verband entscheidet, Verkaufserlöse nicht an die Bauern weiterzugeben.
In Burundi beispielsweise bezahlen Kaffeekooperativenverbände ihre Bauern mit Kleinkrediten und entscheiden über die Nutzung dieser Kredite mit. Das Geflecht von Kooperativen, Mikrokreditanstalten und Kaffeeveredelungsanstalten um Ngozi im Norden des Bürgerkriegslands Burundi ist Investitionsmotor des Wiederaufbaus – aber zugleich ein Machtfaktor, der die Bauern durch Dauerverschuldung bei der Stange hält.
Neue Monopole
Beim Sidama-Verband in Äthiopien entscheiden die einzelnen Kooperativen selbst, was sie mit dem Geld machen: eine will Straßen bauen, eine andere die Grundschule erhalten. Tansanias Kagera-Kooperativenunion aber zahlt ihren Mitgliedern nur die Hälfte der Erlöse aus dem „fairen Handel“ aus und steckt die andere Hälfte in den Aufbau einer Kaffeepulverfabrik. Tansanias Kooperativenverbände haben wegen ihres Hangs zur Entmachtung der Bauern einen schlechten Ruf, heißt es in einer Studie des dänischen Centre for Development Research: „Gekoppelt mit den geringen Preisen, haben die jüngsten Versuche, die Kaffeevermarktung in Kagera erneut zu monopolisieren, zu massivem Kaffeeschmuggel nach Uganda geführt, zum Aufbau von Schuldenrückständen bei den Kooperativenverbänden und zu wachsender Enttäuschung der Bauern.“ Die Studie rät, den Kaffee gleich offiziell über Uganda zu exportieren, zumal ugandischer Kaffee einen besseren Ruf hat als tansanischer und der Verkauf aus Uganda höhere Preise bringt.
Dennoch ist gerade bei den Kooperativenverbänden der „faire Handel“ und die Hinwendung zu nachweislich ökologischem Anbau von Vorteil, weil der Preisaufschlag dafür die genannten Nachteile mehr als aufwiegt. Der Sidama-Verband in Äthiopien, der Gumutindo-Verband in Uganda und der Kagera-Verband in Tansania verkaufen nur wenige Prozent ihres Kaffees als zertifizierten Biokaffee, aber diese wenigen Prozent sorgen für bis zur Hälfte der Mitgliedereinkommen. Einer Studie der britischen Hilfsorganisation Save The Children zufolge bekommen die Bauern von Gumutindo in Uganda für organischen Kaffee 1.400 Schilling (65 Cent) pro Kilo statt 800, während sich die Produktionskosten durch den Wegfall unerlaubter Dünger um bis zu 650 Schilling pro Kilo verringern.
Das Geheimnis des Erfolgs liegt darin, das richtige Verhältnis zwischen Massen- und Spitzenware zu finden. Erstere bringt Marktpräsenz und Grundeinkommen. Letztere bringt Prestige und Profit. Es muss auch nicht immer Biokaffee sein, zumal wenn man guten Kaffee auch so zu guten Preisen losschlagen kann. Der äthiopische Kaffee-Export steigt neuerdings nicht nur im Volumen, sondern auch im Wert: von 126.800 Tonnen zu 161 Millionen Dollar 2002/03 auf 146.478 Tonnen zu 207 Millionen Dollar 2003/04 – eine Steigerung von 1,27 auf 1,40 Dollar pro Kilo. Vor zwei Wochen verkündete der Sidama-Verband stolz, er habe die Zahl seiner Abnehmer für seinen besten Kaffee von vier auf 13 erhöht, in sechs Ländern. Die Deutschen kaufen am meisten, freute sich Verbandsmanager Asnake Bekele. Aber, fügte er hinzu, die Franzosen zahlen besser.