: McCarthy lebt heute in Seoul
Südkoreas Geheimdienst wirft dem deutsch-koreanischen Professor Song Du-yul mit zweifelhaften Methoden vor, ein hoher nordkoreanischer Kader zu sein. Konservative Politiker und Medien versuchen, damit die liberale Regierung anzuschwärzen
von SVEN HANSEN
Südkoreas Staatsanwaltschaft will dieser Tage entscheiden, wie sie mit dem in Berlin lebenden und in Münster lehrenden Philosophieprofessor Song Du-yul verfährt. Südkoreas Medien rechnen damit, dass der 59-Jährige wegen Verstoßes gegen das umstrittene Nationale Sicherheitsgesetz angeklagt und später womöglich abgeschoben wird. Song ist seit 1993 deutscher Staatsbürger. Vorgeworfen wird ihm, seit 1991 Kandidat des nordkoreanischen Politbüros zu sein, in Deutschland südkoreanische Studenten für Nordkorea angeworben und für das stalinistische Regime spioniert zu haben. Song bestreitet dies und glaubt, Spielball in einem innenpolitischen Machtkampf zu sein.
Der Hochschullehrer, der 1972 bei Habermas promovierte, hat seine guten Kontakte zu Nordkorea nie verhehlt. Sie ermöglichten ihm, seit 1995 einen einzigartigen Dialog zwischen Wissenschaftlern beider Koreas zu führen. Song, der sich selbst als „Grenzgänger“ bezeichnet, nahm damit die Entspannungspolitik vorweg, die Kim Dae Jung während seiner Präsidentschaft ab 1998 zur offiziellen Politik machte und für die er den Friedensnobelpreis erhielt. Doch das aus der Zeit des Koreakriegs stammende Nationale Sicherheitsgesetz, das ungenehmigte Kontakte zum Norden unter Strafe stellt, blieb in Kraft.
Song war am 22. September nach 36 Jahren im deutschen Exil erstmals in seine Heimat zurückgekehrt. Noch vor einem Jahr scheiterte eine Rückkehr des Dissidenten, der früher gegen Südkoreas Militärdikatur gekämpft hatte, in letzter Minute am Geheimdienst NIS. Der drohte ihn bei seiner Ankunft zu verhaften.
In diesem Sommer bekam Song aus dem Umfeld des neuen Präsidenten Roh Moo Hyun Signale, dass er nur befragt und ansonsten rehabilitiert würde. Roh war einst Menschenrechtsanwalt. Song wurde zudem von einer Stiftung eingeladen, die weitere Exilanten nach Hause brachte und samt Song in den Präsidentenpalast einlud.
Doch der Geheimdienst begann Song schon am Tag nach der Rückkehr zu verhören. Wie dieser in einer E-Mail an Freunde in Deutschland beklagte, dauerten die Verhöre bis zu 15 Stunden am Tag. Die Agenten lösten sich alle halbe Stunde ab, doch Song durfte nicht einmal seinen Anwalt hinzuziehen. Das änderte sich auch nach Protesten der deutschen Botschaft zunächst nicht. Dafür fütterte der NIS die Medien mit angeblichen Geständnissen Songs, um ihn zu diskreditieren. Song darf Seoul vorerst nicht verlassen und wird weiter verhört. Der NIS beruft sich auf den Überläufer Hwang Chang Yeop, einen Ex-Parteisekretär Nordkoreas. Laut dem wurde Song 1991 unter dem Namen Kim Chul Su die Nummer 23 in Nordkoreas Hierarchie. Bereits 2001 hatte ein Gericht in Seoul festgestellt, dass Hwangs Vorwürfe nicht haltbar sind.
Trotzdem führten Songs Verhöre zu einem Geständnis, das mit einigen widersprüchlichen Äußerungen seine Glaubwürdigkeit beschädigte. Vor der Presse räumte er ein, seit 1973 Mitglied der nordkoreanischen Arbeiterpartei zu sein und bis zu 150.000 Dollar von Pjöngjang erhalten zu haben. Die Parteimitgliedschaft sei damals Teil der Einreisebestimmungen gewesen. „Zu keiner Zeit habe ich jedoch aktiv an der dortigen Politik teilgenommen“, so Song. Von dem Geld habe er mit bis zu 80.000 Dollar seine 18 Nordkorea-Reisen und mit dem Rest Koreaforschung in Deutschland finanziert.
Der Vorsitzende der oppositionellen Großen Nationalpartei, Choi Byung Yul, wittert im Fall Song eine Chance für die Parlamentswahlen im April. Er spricht vom „größten Spionageskandal des Landes“ und fordert eine harte Strafe für Song. Regierungspolitikern wirft er vor, mit diesem zu paktieren.
Präsident Roh, der wegen der lahmenden Wirtschaft und Korruptionsskandalen ohnehin angeschlagen ist, ging zunächst auf Distanz zu Song. „Sein Fall muss nach den Gesetzen beurteilt werden“, sagte Roh, was das anachronistische Sicherheitsgesetz einschließt. Erst diese Woche besann sich der Präsident und forderte zu Toleranz und zeitgemäßem Umgang mit Song auf.
Dieser sah sich bereits so unter Druck, dass er sich am Dienstag vor der Presse ankündigte, seine deutsche Staatsbürgerschaft abzulegen, um nicht des Landes verwiesen zu werden. Damit würde er diplomatischen Schutz verlieren und sich vollends den Behörden und dem Sicherheitsgesetz ausliefern. Die Medien spekulieren, dass Song zur Vermeidung einer Haftstrafe eine Reueerklärung wird unterzeichnen müssen, die ihm Kontakte zum Norden verbietet.
„Der Umgang mit Song kommt einer öffentlichen Hinrichtung gleich“, meint der Kölner Publizist und Vorsitzende des deutschen Korea-Verbands, Rainer Werning, der mit Song befreundet ist. Gegenüber der taz bezeichnet er das Zusammenspiel von Geheimdienst und Medien als „zeitversetzten McCarthyismus“. Song wurde nach Morddrohungen inzwischen unter Polizeischutz gestellt.
Der Fall verdeutlicht die tiefe ideologische Spaltung des Landes. „Zum einen träumen hier die Menschen von einer Wiedervereinigung mit dem Norden, zum anderen ist die Gesellschaft nicht in der Lage, einen Grenzgänger wie Song fair zu behandeln“, sagt ein in Seoul lebender westlicher Beobachter zur taz. Songs Verhöre begannen ironischerweise, als erstmals tausend südkoreanische Geschäftsleute und Medienvertreter nach Pjöngjang reisten, um dort eine vom Hyundai-Konzern gebaute Sporthalle einzuweihen – ein weiteres Symbol der Entspannungspolitik, die rechte Kreise torpedieren wollen.