: Stimmenklau bei den Großen
Michael Badnarik ist Kandidat der „Libertarian Party“. Er fischt im Stimmenreservoir von Demokraten und Republikanern
AUS WASHINGTONMICHAEL STRECK
Die USA sind ein Zweiparteiensystem, wenn es um die Machtausübung geht. Nach dem hiesigen Mehrheitswahlrecht – „the winner takes all“ – kann dies auch nicht anders sein. Dennoch sind die USA keine monolithische Parteienlandschaft. Kleine Parteien machen ihren Einfluss geltend und bilden bei Wahlen oft das Zünglein an der Waage.
Diese Erfahrung musste 2000 der Demokrat Al Gore machen, als ihm Grünenkandidat Ralph Nader in entscheidenden „Swing States“ genug Stimmen abspenstig machte, um George W. Bush zum Wahlsieg zu verhelfen. Im Jahre 1996 war es der konservative Ross Perrot, Kandidat der Reformpartei, der den Republikaner Bob Dole um acht Millionen Stimmen brachte.
Dieses Jahr könnten die Karten bei den „Kleinen“ neu gemischt werden. Nader hat die Grünen zornig verlassen, da sie nach dem Wahldebakel 2000 nicht noch einmal zum falschen Königsmacher werden wollen und sich lange uneins waren, ob sie dieses Mal überhaupt ins Rennen gehen. Stattdessen kandidiert der „Vater der Grünen“ ironischerweise für die Reform Partei. Ohne prominente Leitfigur ist die „Green Party“ seither auf Bundesstaatenebene in der Versenkung verschwunden.
Eine andere hofft nun, ihren Platz einnehmen zu können: Die „Libertarian Party“ mit ihrem Spitzenmann Michael Badnarik. „Nader ist politisch nicht mehr ernst zu nehmen“, sagt der 50-jährige Texaner selbstbewusst, fest überzeugt, seinen Stimmenanteil im November zu erhöhen. Im Jahre 2000 gaben 380.000 Wähler den Freiheitlichen ihre Stimme, Rang fünf hinter den Grünen mit 2,8 Millionen und der Reformpartei mit 400.000 Stimmen. Anders als Nader muss er keine bitteren und teuren Rechtstreite führen, um in den jeweiligen Bundesstaaten als Kandidat auf den Wahlzetteln zu stehen (siehe Text unten). Bis auf zwei Staaten ist seine Kandidatur überall gesichert .
Badnarik hat seinen Hauptberuf als Software-Ingenieur an den Nagel gehängt und tourt pausenlos durch das Land. Dabei klagt er Demokraten und Republikaner gleichermaßen an, mit dem Irakkrieg und dem „Patriot Act“ – dem umstrittenen Gesetzespaket zur Antiterrorbekämpfung, das Bürgerrechte in den USA einschränkt – die amerikanischen Verfassungswerte verraten zu haben. Diese Botschaft findet nach eigenen Angaben unter einer wachsenden Anhängerschar Resonanz. 750.000 Dollar Spendengelder sammelte er in wenigen Monaten, eine Minisumme verglichen mit den Millionen der beiden großen Parteien. Das Geld muss nun reichen, um die Ideen der „wahren Liberalen“, wie Badnarik sagt, unter das Wahlvolk zu bringen.
Das tut Not, schließlich werden auch hierzulande die Freiheitlichen insgesamt noch wenig beachtet. Dabei fußt ihre Philosophie auf den Gründungsmaximen der Vereinigten Staaten: dem Recht auf individuelle Freiheit und der Pflicht zur persönlichen Verantwortung als höchstem Gut. Der staatliche Einfluss solle so gering wie möglich sein, Kriege ausschließlich zur Verteidigung geführt werden.
Freiheit heißt für sie eben auch das Recht auf Ehe für gleichgeschlechtliche Partner. „Dass die Regierung entscheiden kann, ob jemand heiraten darf oder nicht, ist schlicht aberwitzig, egal ob schwul oder hetero. Hatte George Washington eine Heiratserlaubnis? Nein, er gab seine Heirat lediglich bekannt“, sagt Badnarik.
Für diese Haltung könnten sich auch „liberale“ Demokraten oder Grüne erwärmen. Doch seine Forderung, staatliche Regulierung weitgehend zu reduzieren, Einkommens- und Lohnsteuern und eine Reihe von Ministerien abzuschaffen, löst bei ihnen nur Kopfschütteln aus. Diese Positionen wiederum könnten jenen Republikanern schmackhaft sein, die in Bushs aufgeblähtem Staatsapparat eine Preisgabe konservativer Prinzipien sehen.
Außenpolitisch teilt die „Libertarian Party“ ihre fundamentale Kritik am Irakkrieg und jeder Form militärischer Intervention mit vielen linken Geistern in den USA. Die Invasion im Irak sei unter keinen Umständen gerechtfertigt gewesen, da Amerika von Bagdad nicht angegriffen wurde, meint Badnarik. „Freiheitliche Außenpolitik bedeutet nationale Selbstverteidigung und nicht internationale Offensive. Es geht darum, unserer Land zu schützen, nicht aber Weltpolizist zu spielen.“ Für ihn stellen die Terrorattentate vom 11. September denn auch keinen kriegerischen, sondern kriminellen Akt dar. Er weist Bushs Ansicht zurück, Amerika werde von islamischen Terroristen aufgrund seiner zivilisatorischen Werte gehasst. „Das ist absoluter Blödsinn“, sagt er. „Sie hassen uns aufgrund unserer Nahost-Politik.“
Noch fünf Wochen bis zum Urnengang wird Badnarik wie Bush, Kerry und Nader jeden Tag woanders auftreten, mit dem Unterschied, dass ihn dabei kaum Kameras und Mikrofone verfolgen. „Warum mache ich das, täglich vier Stunden Schlaf, Fastfood und nur eine Hand voll Mitarbeiter“, fragt er sich manchmal. Seine Antwort an sich und andere: „Amerika muss zu seinen Gründungsidealen zurückfinden.“
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