Der Tod ist nicht das Ende

Die Musikkonzerne werden sich von ihrem Siechtum nicht mehr erholen. Für die Musik muss das nicht unbedingt schlecht sein: Die Zukunft liegt nun bei den Independent-Labels – und in einem aufgeklärten Umgang mit der Digitalisierung von Information

Die Musikindustrie wird sich nicht erholen. Sie wird verschwinden Bald wird man Internetradios auch im Auto und beim Joggen hören können

VON TOBIAS RAPP

Das dürfte sich der Berliner Senat ganz anders vorgestellt haben. Pünktlich zur Eröffnung der ersten Popkomm in der Hauptstadt kündigte der Sony-Konzern Anfang vergangener Woche an, seine Musikabteilung von Berlin nach München verlegen zu wollen: Eine Folge der Fusion von Sony Music mit der BMG, die ihre Deutschlandzentrale an der Isar hat. Unangemessen großspurig behauptete zwar der Pressesprecher des Wirtschaftssenators noch, Berlin sei „nach wie vor“ das „Zentrum der Kreativen“. Doch die endlose Renommiererei, dass, wenn sonst wirtschaftlich schon wenig geht, Berlin wenigstens die Musikhauptstadt sei, ist damit hoffentlich vorbei. Daran dürfte auch der Umzug von MTV Deutschland nach Berlin wohl nichts mehr ändern.

Nun war es ohnehin weniger die kulturelle Anziehungskraft der selbst erklärten Kreativmetropole, die Sony Music und Universal in die Stadt gelockt hat: Eher war eine gut gedrittelte Mischung aus ebenjener Hauptstadteuphorie, zusammen mit dicken Subventionsgeldern und internen Umstrukturierungen der Mutterkonzerne der Grund. Im Zuge eines Standortwechsels ließ es sich eben auch prima Stellen einsparen. Und dieser Umstrukturierungsprozess ist noch lange nicht zu Ende.

Schaut man sich Konzept und Programm der ersten Popkomm nach ihrem Umzug von Köln nach Berlin an, scheinen zumindest die Verantwortlichen der Musikmesse den Schuss gehört zu haben. Mit dem Label-Camp wurde eine Plattform für Kleinlabels geschaffen, deren Wichtigkeit in den nächsten Jahren zunehmen wird, da sie nach den Umstrukturierungen der Großlabels die einzigen sind, die sich um einen nachhaltigen Künstleraufbau kümmern. Und mit der Internationalisierung der Messe – 77 Prozent der Aussteller kommen aus dem Ausland – trägt die Veranstaltung dem Umstand Rechnung, das auch der Musikmarkt sich ständig weiter internationalisiert.

Auch der Schwerpunkt „Zukunftsmärkte“ macht Sinn: Denn im Zuge des unaufhaltsamen Einbruchs des Tonträgermarktes dürfte der Versuch, noch stärker an Computerspiele, Werbung, Fernsehen und das so genannte „Mobile Entertainment“ anzudocken, der einzige Weg sein, noch Geld zu verdienen. Schon jetzt werden mehr Klingeltöne als CD-Singles verkauft.

Tatsächlich sollte man sich aber mit dem Gedanken anfreunden, dass der Begriff „Krise der Musikindustrie“ eine allzu freundliche Beschreibung dessen ist, was gerade passiert. „Tod der Tonträgerindustrie“ dürfte die Lage eher treffen. Denn so sehr immer wieder beschworen wird, die Talsohle sei nun endlich erreicht, schlimmer könne es nicht mehr werden – es wird sich kein Wanderweg in die alten Höhen mehr auftun. Mit der Digitalisierung hat sich die Industrie in den vergangenen zwanzig Jahren eine goldene Nase verdient – und gleichzeitig ihr eigenes Grab geschaufelt.

Denn alle Daten, die auf einer Festplatte liegen, können auch frei verschoben werden. Wer vor dieser simplen Tatsache die Augen verschließt, hat die Tragweite der Digitalisierung von Informationen schlicht nicht verstanden. Das gilt für die Unternehmen genauso wie für die Politik.

Jede Sperre, die die Kopierbarkeit dieser Daten verhindern soll, kann und wird geknackt werden. Und jeder Versuch, dieses so genannte „Raubkopieren“ zu kriminalisieren, ändert nichts daran, dass es weiter betrieben werden wird. Natürlich ist es eine der Aufgaben des Staates, dem Kapital optimale Verwertungsbedingungen zu stellen. Trotzdem sind die Änderungen des Urheberrechts und die scheinbaren Erfolge, die mit der Kriminalisierung des Downloads einhergehen – laut Umfragen soll bei den Nutzern von Tauschbörsen etwa das Bewusstsein dafür steigen, etwas „Illegales“ zu tun –, nichts als das sprichwörtliche Pfeifen im Wald. Die Verhältnisse geben längst eine andere Melodie vor. Die Tonträgerindustrie wird sich nicht erholen. Sie wird verschwinden. Weil die Tonträger verschwinden werden.

Die Hoffnung, man könnte seine Kunden halten, wenn man ihnen nur eine besondere Verpackung anbietet, eine schöne CD-Hülle etwa, wird enttäuscht werden. Denn die Produkte, die den Musikhörern die Entauratisierung der Tonträger versüßen, gibt es längst. Und sie arbeiten mit mp3-Dateien. Gegen die Aura eines iPods kommt keine noch so aufwändig gestaltete CD-Hülle an.

Dass von einigen Politikern und einer Reihe Musiker nun wieder eine Diskussion über die Einführung einer Radioquote für Musik aus deutschen Landen angestoßen worden ist, zeigt allerdings die kategoriale Hilflosigkeit, mit dem Niedergang eines Geschäftsbereichs umzugehen, der einen jahrzehntelang ganz gut versorgt hat. Wobei die Radiosender jenseits alberner Quotierungsfantasien tatsächlich gut daran täten, über ihre Formatierung nachzudenken. Denn eigentlich ist es ein Unding, dass sich in Deutschland, einem Land mit einer der vielfältigsten Dance-Music-Szenen der Welt, von wenigen Ausnahmen abgesehen keine UKW-Skala findet, in der diese Musik adäquat repräsentiert wäre, um nur ein Beispiel herauszugreifen.

Wer dies durch die Einführung einer Quote ändern möchte, hat allerdings das Problem nicht verstanden. Nicht nur, weil es national organisierte Musikkulturen ohnehin kaum noch gibt, und deutsche Künstler genauso im Ausland veröffentlichen wie die Musik ausländischer Künstler auf deutschen Labels erscheint. Für die Radiosender ist dies eine Frage des schieren Existenzerhalts. Denn auch sie werden vom technischen Fortschritt nicht verschont bleiben. Die Pläne für Geräte, die Handy und Musikabspielgeräte verbinden und über UMTS oder WLAN an das Netz angeschlossen sind, dürften bereits in Entwicklung sein. Und die Internetradios, die all das senden, was bei den UKW-Sendern wegfällt, weil es jenseits der eng gesteckten Formatgrenzen liegt, gibt es bereits. Es wird nicht mehr lange dauern, und man wird sie auch in der Küche, im Auto und beim Joggen empfangen können.

Eine solche Entwicklung würde die musikalische Öffentlichkeit zwar noch stärker fragmentieren, als dies schon jetzt der Fall ist. Abzuwenden ist sie aber kaum. Und sie zeigt sich schon jetzt in den Schwierigkeiten, das heiße neue Ding zu benennen. Ganz viel Kleines existiert nebeneinander, und regionale Szenen bilden Netze quer über den Globus. Den Mut oder die ökonomische Macht, die es für einen wirklichen Hype bräuchte, bringt niemand auf. Gerade Berlin mit seiner breit gefächerten Techno-Szene, seinen sich in interessanten Kleinkriegen aufreibenden HipHop-Labels und den zahllosen anderen Gruppen und Grüppchen, die sich in den Clubs und Konzertsälen tummeln, ist da ein gutes Beispiel.

Diese Nischen sind es dann auch, die den Ruf Berlins als Musikhauptstadt ausmachen – ein Ruf, der im Ausland wahrscheinlich besser gehört wird als beim Wirtschaftssenator. Ein Ruf, für den es relativ gleich ist, ob im Jahre 2008 irgendeine Kostenkontrollkommission bei der dann noch weiter geschrumpfen Sony BMG Music feststellt, dass es sich rechnet, wieder nach Berlin zurückzukommen. Gut die Hälfte aller Büroflächen am Potsdamer Platz dürfte dann leer stehen, weil die Deutsche Bahn in vier Jahren das Glashochhaus räumen wird, um in ihr neues Hauptquartier am Nordbahnhof zu ziehen. Die Mietpreise in der vormaligen Toplage werden ein historisches Tief erreicht haben – da könnte es sich dann wieder lohnen, die Arbeitsplätze nach Berlin zurückzuverlagern.