: Entmannt die Raumfahrt
Auch wenn die Bilder aus China anderes suggerieren: Raumfahrer sind im All keine Problemlöser, sie sind das Problem. Jedes Handy kann ein Raumschiff besser steuern
Als 1957 der Sputnik aus dem All piepste, war nicht nur die westliche Welt schockiert, sondern auch die Chinesen. „Wir sind ja nicht mal in der Lage, eine Kartoffel ins All zu schießen“, klagte der mächtige Revolutionär Mao Tse-tung. Seit einer Woche kann China sogar Menschen in den Orbit katapultieren: Erstmals winkte ein chinesischer „Taikonaut“ aus seinem „Göttlichen Schiff“ Shenzou-V zur Erde.
Ob Kartoffeln oder Menschen – Chinas Timing könnte nicht schlechter sein. Die jüngste Bilanz der Raumfahrer legt Zurückhaltung nahe: Die russische Raumstation Mir verglühte als Mahnmal für ewigen Pannendienst; deren internationales Pendant ISS mutiert zur Geld verschlingenden Dauerbaustelle; und dann stürzte auch noch das zweite von einst fünf stolzen Spaceshuttles vom Himmel und pulverisierte seine Crew. Trotzdem schickt alle Welt weiter Menschen in den Orbit, als wäre nichts gewesen. Dabei braucht es zur Erforschung des Alls keine Astronauten: höchste Zeit, die Raumfahrt zu entmannen!
Zugegeben: Die Mondlandung 1969 war cool. Aber wie bei so vielen coolen Dingen war ihr Nutzen fragwürdig. Das schwerelose Muskelspiel folgt einem alten, evolutionären Prinzip: Ein Pfau imponiert einem Weibchen mit buntem Gefieder. Warum aber findet das Weibchen den Zierrat so sexy? Der Grund: Je auffälliger der Federschmuck des Freiers, desto leichter fällt er Räubern zur Beute. Überlebt er dieses Handicap, muss er demnach tolle Gene besitzen. Auf diese Weise funktionieren teure Diamantringe im Wettbewerb um die Gunst altmodischer Frauen und die Mondlandung im Streit um die der Menschheit: Wer sich kostspieligen Luxus leistet, demonstriert Überlegenheit. Im Prinzip war die Mondlandung nichts anderes als ein 25-Milliarden-Dollar-Balzritus.
Offiziell handelte die bemannte Raumfahrt von „Forscherdrang“ und „Völkerfreundschaft“. Tatsächlich kämpften die Supermächte bis ins letzte Glied verbissen ums Prestige. Stolz feierte sich die DDR, als ihre Offiziellen 1978 mit Sigmund Jähn den ersten deutschen Kosmonauten aus einer winzigen Sojus-Kapsel pulen konnten. Empfindlich getroffen, verhöhnte die alte Bundesrepublik Jähn als bloßen „Passagier“ der Sowjets: Ihr Astronaut, Ulf Merbold, der fünf Jahre später im Spacelab die Erde umrundete, hatte immerhin sein eigenes Labor dabei.
Bald will die aufstrebende Weltmacht China statt kleiner Schritte endlich ihren riesigen Sprung machen: Schon in zehn Jahren sollen Taikonauten die rote Fahne in den Mond rammen. Derweil wächst in den vom Terror erschütterten USA der Durst nach einer eindrucksvollen Mission: In der „Schlacht der Kulturen“ sei das Reiseziel Mars „nicht weniger relevant“ als einst der Mond im Kalten Krieg, schreibt etwa das Wall Street Journal. „So ein Abenteuer wäre ein Sinnbild für die westliche Weltanschauung.“
Spätestens wenn Chinesen auf dem Mond spazieren, wird Amerika nicht mehr zu halten sein. Selbst Europas Raumfahrtbehörde ESA prüft vorsichtig die Möglichkeiten, ab 2020 Menschen zu Mond und Mars zu schießen. Sind wir nicht auch wer? Nur: Was außer Herumhüpfen und Steineklopfen gäbe es dort für Raumfahrer noch zu tun? Und was könnten Roboter nicht besser und billiger erledigen?
Schon der Aufwand, sichere Raumkapseln für Menschen zu konstruieren, ist enorm. Acht Tonnen wiegt das Göttliche Schiff von Taikonaut Yang, mit dem er die Erde gerade 14-mal umrundete. Mehr als 2 Milliarden Dollar legten die Chinesen für diesen Erfolg hin. Die jüngst auf die Reise geschickte Mondsonde Smart-1 der ESA ist lediglich 370 Kilo schwer und dennoch gespickt mit einem Arsenal von Sensoren, die dem Mond gleich mehrere Rätsel entlocken könnten. Sie kostet alles in allem 100 Millionen Euro.
Auf der Erde mag der Mensch der Maschine überlegen sein, im All ist er so gefährdet wie eine fliegende Ming-Vase. Zu Zeiten Neil Armstrongs waren Raumfahrer unverzichtbar. Heute jedoch verfügt jedes Handy über genug Rechenleistung, um einen Roboter zum Mars zu steuern. Filmen, Messen, Graben – das alles gelingt den stählernen Gesellen mühelos. Sie stören sich nicht an Kälte oder Luftmangel – für Astronauten dagegen ist schon der schwerelose Stuhlgang knifflig.
Chinas Weltraumheld Yang war an Bord seines Göttlichen Schiffes eigentlich nur zu Gast: Er durfte nichts anfassen, während die Ingenieure am Boden seine Kapsel steuerten. Auch wenn die schönen Bilder anderes suggerieren: Raumfahrer sind im All keine Problemlöser, sie sind das Problem. Während von der Erde aus gesteuerte Sonden bereits Bilder von den Rändern unseres Sonnensystems knipsen, bangen Astronauten im Erdorbit um ihre Hitzekacheln.
Natürlich sind viele Chinesen jetzt stolz. Dabei ist es schon absurd, wenn ein Land Milliarden in die Raumfahrt steckt, aber kein einziges konkurrenzfähiges Auto oder Flugzeug konstruieren kann. Ein bisschen Lust am Abenteuer und Prestige wäre ja auch hierzulande nicht verwerflich. Doch allein der Bau der Internationalen Raumstation wird am Ende 100 Milliarden Dollar verschlingen – ohne großen Nutzen. Kleine Sonden sind bereits für 250 Millionen Dollar zum Roten Planeten geschossen worden. Eine bemannte Marsreise würde, grob geschätzt, das Tausendfache kosten. Doch statt den Verschwendern den Treibstoff abzudrehen, werden sie verehrt.
Als Mondfahrer Edwin Aldrin einem Landsmann die Faust ins Gesicht schlug, weil der behauptete, Aldrin wäre in der Wüste Nevadas und nicht auf dem Mond gelandet, weigerte sich der Staatsanwalt zu ermitteln. Sein Argument: Kein Geschworenengericht würde den zweiten Mann auf dem Mond verurteilen.
Raumfahrer erledigen eben keinen simplen Auftrag, sie fliegen „eine Mission“. Bevor der erste Mensch die Anziehungskraft der Erde überwand, war dieser Moment tausendfach in Science-Fiction-Storys besungen worden. „Wir gehören nun einer Generation an, die die Erde verlassen kann“, schwärmt Ulf Merbold. Das sei „unglaublich faszinierend“. So sind sie, unsere Raumfahrer: In Gedanken dringen sie mit Captain Kirk in Galaxien vor, die nie ein Mensch gesehen hat – in Wirklichkeit haben sie sich total verausgabt auf den 400.000 Kilometern bis zum Mond. Die kann auch ein Geschäftsreisender auf seinem Miles-and-more-Konto ansammeln.
Selbst wenn man sich auf die Fantasien der Astronauten einließe, so bliebe die Frage, wo die Raumfahrt eigentlich hinführen soll. Auf den großen Planeten kann man mangels fester Oberfläche nicht aufsetzen, hinter Pluto erstreckt sich unüberwindbar das Nichts. Der nächste Stern ist 44.464 Milliarden Kilometer entfernt, stinklangweilig und in einem Astronautenleben auch mit optimaler Raketentechnik kaum zu erreichen.
Lassen wir uns nichts vormachen: Die große technische Innovation des 20. Jahrhunderts war nicht der Flug zum Mond, sondern der Computer. Schießt die Astronauten endlich zum Arbeitsamt! MATTHIAS URBACH