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Archiv-Artikel

Der neue Merz ist da

Friedrich Merz hat wieder mal ein Buch geschrieben, aber nur weil der Verlag darum gebettelt hat. Der Titel: „Nur wer sich ändert, wird bestehen“. Das gilt für alle, nur nicht für ihn. Er bleibt Politiker

VON KARIN LOSERT

Wo liegt der Unterschied zwischen Willy Brandt und Friedrich Merz? Sicher nicht in der Wahl ihrer Slogans. „Wer morgen sicher leben will, muss heute für Reformen kämpfen“, damit zog Brandt 1972 in den SPD-Bundestagswahlkampf. „Nur wer sich ändert, wird bestehen“, heißt es 32 Jahre später bei Union-Mann Merz. So lautet zumindest der Titel seines neuen Buches. „Vom Ende der Wohlstandsillusion“ lautet die Unterzeile, das Buch ist eine Kursbestimmung für die Zukunft. Und das ist schon deutlich pessimistischer als zwei Jahre zuvor, als der damals noch Fraktionsvorsitzende schon einmal zum Stift gegriffen hatte und mit „Mut zur Zukunft“ Deutschland wieder an die Spitze treiben wollte.

Wäre es nach ihm gegangen, hätte es gar kein zweites Buch gegeben, sagt Merz. Aber der Herder-Verlag bettelte so lange, da konnte er einfach nicht ablehnen. Und dies habe ja durchaus Vorteile: „Der Autor des Buches lernt schließlich immer am meisten.“

„Mutig-profiliert-kompetent“ preist der Verlag das Werk an, dabei reiht es sich zunächst einmal ein in die düsteren Analysen des Standorts Deutschland, mit denen sich in jüngerer Zeit schon Autoren wie Hans-Werner Sinn („Ist Deutschland noch zu retten?“) oder Gabor Steingart („Der Abstieg eines Superstars“) beschäftigt hatten. Die Deutschen – ein Volk im Wandel, dem Werte und Bindungen abhanden gekommen sind. Erst im zweiten Teil gibt Merz den Reformer, als den er sich selbst gerne sieht. Die Aufhebung des Kündigungsschutzes, die Anhebung der Mehrwertsteuer, die Auflösung der Pflegeversicherung – seine Vorschläge, um wieder zu den Grundlagen jener sozialen Marktwirtschaft zurückzukehren, die Deutschlands Stärke begründet habe.

Das Buch enthalte keine Spitzen gegen seine eigene Partei, warnt Friedrich Merz die bei der Vorstellung anwesenden Journalisten, es lohne sich daher auch nicht, genauer hinzusehen. „Namen kommen darin nicht vor.“ Und dennoch pirscht er vor, treibt die Union an, sich nicht in der Debatte über Kranken- und Pflegeversicherung zu zerfleddern und stattdessen Ansätze wie die der Kopfpauschale konsequent zu Ende zu denken. „Mit diesem Systemwechsel, den man nur ganz oder gar nicht vollziehen kann, wird sich die Reformfähigkeit der deutschen Gesellschaft ebenso erweisen wie die Führungskraft des politischen Personals.“ Ob er damit vielleicht nicht doch seine eigene Parteiführung gemeint hat?

Zur Buch-Präsentation hat sich Merz einen Mann aus der „anderen Fakultät“ eingeladen, Peter Glotz, ehemaliger Bundesgeschäftsführer der SPD und zugleich deren Vorzeigeintellektueller. Und der ist, was die politische Wirkung des Buches innerhalb der Union angeht, durchaus anderer Meinung: „In den letzten beiden Kapiteln sind viele Minen enthalten. Ich bin gespannt, wie Sprengmeisterin Merkel damit umgehen wird. Ich werde mich auf jeden Fall in sicherer Entfernung halten.“

Friedrich Merz’ Position ist schwierig. Die Union hat bei den letzten Wahlen mehr verloren als gewonnen. Obwohl er als kluger Kopf und als der Experte in Wirtschafts- und Arbeitsmarktfragen gilt, ist seine Position innerhalb der Partei umstritten. „Wir müssen mehr tun, als nur der Regierung nachzulaufen. Wer nachläuft, bleibt immer zweiter.“ Auch Merz würde gerne aus der zweiten Reihe heraustreten. Aber er ist kein aufstrebender Newcomer mehr, genauso wenig wie Ministerpräsident, eine Position, in der sich Roland Koch und Christian Wulff behaupten können. Sein Forum sind die Bücher – und die Medien im Allgemeinen.

„Wir befinden uns in einer Krise des Parlaments“, sagt Merz und wettert gegen die deutsche „Talkshow-Demokratie“. „Es kann nicht sein, dass die politische Agenda am Sonntagabend im Fernsehstudio beschlossen wird.“ Das sagt ausgerechnet Merz, der „Mister Christiansen“ in Person. Kaum ein anderer Politiker ist so häufig in den von ihm kritisierten Shows zu Gast wie Friedrich Merz. Sie sind sein Sprachrohr, hier kann er debattieren und provozieren. Auch mal die eigenen Reihen.

Und denen will Friedrich Merz treu bleiben. Die Frage, ob dieses Buch schon so etwas wie sein „Vermächtnis als Politiker“ sei, wehrte er ab. An Gerüchten, wonach er plane, in die Wirtschaft zu gehen, sei aber auch gar nichts dran. „Ich bin gerne Politiker.“ Das freut auch seinen Verlagschef Manuel Herder. Er hofft schon auf das nächste Buch von Merz.