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Archiv-Artikel

Jenseits von Mekka

„Ich habe mich dafür entschieden, dass es mit mir in Frankreich ein schlimmes Ende nehmen soll“, sagt Jazzpianist Eric Watson. Beim Konzert im Radio Bremen Sendesaal lässt sich heute Abend hören, dass er noch weit davon entfernt ist

Nachdem er am Oberlin Conservatory Klavier und Komposition studierte, ging der Amerikaner Eric Watson nach Paris und wurde dort Jazzmusiker. Seit mittlerweile 25 Jahren gehört er zu den Virtuosen der europäischen Jazzszene. Auf Einladung des Institut français de Brême und der Jazz-Redaktion der Rundfunkanstalt tritt er heute Abend im Radio Bremen Sendesaal mit einem Soloprogramm auf. In der Region ist er kurz darauf auch mit seinem „Full Metal Quartet“ zu hören – als Gast des NDR in Hamburg. Mit der taz sprach Watson über seine gebrochene Liebe zur klassischen Musik und die unterschiedliche Ästhetik von Solo- und Ensemblekonzerten

Herr Watson, Sie selbst haben sich einmal als einen „wiedergenesenen klassischen Musiker“ bezeichnet. Welche Krankheitssymptome hatten Sie?

Eric Watson: Bei den Anonymen Alkoholikern gibt es die so genannten ‚recovering alcoholics‘, die versuchen, nicht zu trinken. Genauso versuche ich, mich von der klassischen Musik fernzuhalten – weil ich sie zu sehr liebe. Aber ich habe entschieden, mich in einem anderen musikalischen Feld weiterzuentwickeln. Und das kann ich nicht, wenn ich acht Stunden am Tag nur am Klavier übe. Ich mag die Freiheit, die der Jazz bietet, und ich mag die Herausforderung, mich zugleich als Komponist und als Instrumentalist auszudrücken.

„Sketches of Solitude“ heißt Ihre CD mit Solo-Piano-Improvisationen. Dort spielen Sie sehr lyrisch und introspektiv. Kann denn das Publikum solche Töne auch heute Abend im Sendesaal von Radio Bremen erwarten?

Nein. Es gab für diese Aufnahmen ein spezielles Konzept. Die Platte steht in der Tradition von Alben, auf denen nur Balladen zu hören sind. Aber das hat nur sehr wenig mit meinen Solokonzerten zu tun.

Was wird Bremen denn stattdessen von Ihnen zu hören bekommen?

Natürlich spiele ich auch eher ruhige, poetische Stücke. Aber ich habe auch eine ausgesprochen expressive, fast gewalttätige Seite, die ich dort ausdrücke. Ich bin da sehr von Cecil Taylor, McCoy Tyner, Thelonius Monk und Pierre Boulez beeinflusst.

Sie arbeiten sowohl solistisch als auch mit Band: Was ist für Sie künstlerisch interessanter?

In den Soloauftritten kann ich mein gesamtes Vokabular vorstellen. Ich verstehe sie als archetypische Pianokonzerte, bei denen ich versuche, der Geschichte des Pianos gerecht zu werden. Es gibt darin sowohl komponierte als auch frei improvisierte Passagen, die Musik kann sehr dicht und perkussiv sein, aber auch minimalistisch und klar, manchmal ist sie harmonisch, dann wieder atonal. Also kann ich mich in ihnen vollständiger ausdrücken, als in den Konzerten mit Band. Da swingt es immer, alleine schon durch das Schlagzeug und den Bass. Aber andererseits liebe ich beim Jazz ja gerade das Zusammenspiel mit den anderen Musikern.

Während Sie in Bremen solo spielen, treten sie am 24. Oktober beim NDR in Hamburg mit ihrem Quartett auf. Ist das grundsätzlich für Sie als Performer etwa anderes?

Nicht auf dem Level, dass ich etwa beim einen vorher nervöser bin als beim anderen. Aber es hat jeweils eine ganz andere Energie. Beim Solospiel versuche ich, eins mit dem Instrument zu werden, bei der Band versuche ich mit den anderen Musikern zu einer Einheit zu verschmelzen. Mit meinem „Full Metal Quartet“ strebe ich so etwas wie die hohe Intensität eines klassischen Streichquartetts an. Da steht auch nicht mitten im Stück ein Musiker auf und verbeugt sich, weil er eine schöne Solopassage gespielt hat. Mit Christoph Lauer in meiner Gruppe habe ich die Soli stark reduziert.

Wie? Sie spielen ganz ohne Einzel-Improvisationen?

Es ist ja schließlich Jazz, also muss es auch Einzel-Improvisationen geben. Aber ich glaube, ich habe einen Weg gefunden, dies mit der Komposition zu maskieren und nicht so offensichtlich erscheinen zu lassen.

Es gibt ja eine ziemlich lange Tradition von amerikanischen Jazzmusikern, die nach Frankreich gingen und dort blieben. Und wenn sie dann zurück nach New York gingen, hat es meist schnell ein böses Ende mit ihnen genommen. Sehen Sie sich auch in dieser Reihe? Und sind Sie so smart, in Paris zu bleiben?

Ich habe mich dafür entschieden, dass es mit mir in Frankreich ein schlimmes Ende nehmen soll. Aber ernsthaft: Bei mir ist es etwas anders, denn all diese Jazzmusiker wie Kenny Clarke, Bud Powell oder Steve Lacy waren schon etabliert und berühmt, als sie nach Frankreich kamen, und sie setzten dort dann die Abenteuer fort, die sie in Amerika begonnen hatten.

Das war bei Ihnen anders…

Ja, – bei mir war es so, dass ich Amerika verließ, sobald ich erwachsen war. Und so begann für mich alles in Frankreich. Ich bleibe dort, weil ich die Lebensqualität und die Art und Weise schätze, wie der Jazz in Europa respektiert wird.

Und Sie wollen gar nicht zurück?

Es ist komisch: Wie für alle, ist New York auch für mich das Mekka des Jazz. Manchmal komme ich mir vor, wie ein Moslem, der nicht nach Mekka pilgern will.

Interview: Wilfried Hippen

Eric Watson spielt heute Abend ab 21 Uhr Piano solo im Sendesaal von Radio Bremen. Ein Teil des Konzerts wird von 22.05 - 23 Uhr im Nordwest-Radio übertragen. Am 24. Oktober tritt Watson um 20 Uhr mit seinem „Full Metal Quartet“ im Rolf-Liebermann-Studio des NDR auf