: Mittelmäßigkeit und Melodei
DAS SCHLAGLOCH von VIOLA ROGGENKAMP
Spezialistinnen überlegen sich eine Strategie, wie der Deutschlandfunk in all seinen Sendungen einem geschlechterdemokratischen Systemwechsel verpflichtet werden kann. Sind sie per öffentlichem Rundfunkauftrag nicht ohnehin dazu aufgefordert? Halina Bendkowski, Agentin für Feminismus und Geschlechterdemokratie, an den Intendanten des Deutschlandfunks
Das Fernsehen schafft das Bild ab. Nein. So dumm ist nicht einmal das Fernsehen. Der Hörfunk schafft das Wort ab. Ja. Das ist tatsächlich wahr.
Intendanten und Programmdirektoren kürzen und streichen das gesprochene Wort aus ihren Kulturprogrammen. Das sind Leute mit Abitur und dem persönlichen Bekenntnis, die deutsche Sprache liege ihnen am Herzen. Da liegt sie und verstummt. Es verschwinden Magazine, halbstündige Gespräche, Essays. Im NDR beispielsweise „Texte und Zeichen“, eine der besten Kultursendungen. Stattdessen Musik und Eigenwerbung.
Vorrang habe Kla-Po-Pu, so heißt es in Hörfunkanstalten, Klassik-Pop und Publikumssendungen „vor Ort“, Konferenzschaltungen von den spannenden Straßenfesten der Republik, Mittelmäßigkeit und Melodei. Herr Mustermann an die Macht.
Der gesellschaftspolitische Auftrag des Hörfunks ist nicht die Verdummung, doch sie wird systematisch betrieben. Warum machen das die älteren Herren in der Intendanz und Programmdirektion? Das sei jung, sagen sie. Sie haben es jetzt im Fuß, Rhythmus, Klassik-Pop. NDR, WDR, MDR, Hessischer Rundfunk, nun auch der SFB, der jetzt RBB heißt, Radio Berlin-Brandenburg. Überall schön einheitlich vier Viertel und sechs Achtel.
Dabei ist der ältere Herr im RBB eine Frau. Frauen und Sprache. Das weiß man doch. Das ist eine Einheit, eine geschlechtsspezifische Begabung. Nicht so bei RBB-Intendantin Dagmar Reim. Zum ersten Mal eine Frau an der Spitze eines ARD-Senders. Was haben wir uns gefreut! Feministinnen haben auch Margaret Thatcher immer zu schätzen gewusst, weil sie mit ihrer Betonfrisur und ihrem Handtäschchen die Einzige war unter den graumäusigen Männern. Endlich eine Intendantin also, dazu neben sich als Programmdirektorin eine Frau aus Ostdeutschland. Vorbildlich!
Wie kommt eine Frau nach oben? Sie muss fünfmal besser sein als ein Mann. Dagmar Reim ist fünfmal besser als ein Mann. Gleich hat sie das frauenpolitische Magazin „Zeitpunkte“ am Wickel. Ab 1. Dezember soll es die „Zeitpunkte“ nicht mehr geben, nicht mehr wie seit 24 Jahren gewohnt täglich eine Stunde. Das hat kein Mann vor ihr geschafft. Die frauenpolitischen Themen sollen stattdessen häppchenweise irgendwo im Klassik-Pop-Teppich verteilt untertauchen.
Von Dagmar Reim gibt es ein geflügeltes Wort. Es flattert durch Interviews, die sie dank ihrer Geschlechtszugehörigkeit nach der Ernennung zur Intendantin geben konnte. Die RBB-Frau behauptet, Kultursendungen würden inzwischen nur noch vom Redakteur gehört, seiner Frau und seinem Friseur. Mit anderen Worten: Ein Mann besitzt das Mikrofon und glaubt sich bedeutungsvoll, am Radio lauschen seine Lebensgefährtin und ein Schwuler. Schön, wenn jemand so festgefügte Vorurteile hat.
Man müsse die Jüngeren an sich binden, heißt es ganz oben in den Hörfunksendern der ARD, und junge Leute könnten gesprochener Sprache nicht länger zuhören als höchstens zweieinhalb Minuten. Sind das dieselben jungen Leute, die stundenlang telefonieren? Stundenlang E-Mails schreiben und lesen? Stundenlang in der Schule und an der Uni diskutieren? Stundenlang im Fernsehen in Nachmittagstalkshows ihre Lebensprobleme ausbreiten und stundenlang Hörkassetten im Autoradio hören?
Der Markt der Hörkassetten boomt. Warum wohl? Die Mehrheit der Rundfunkhörer ist weiblich und über vierzig. Genauso wie die Bevölkerung. Und das ist der Trend. Das Alter ist im Kommen. Für jeden Menschen. Warum zahlen Frauen und ältere Menschen überhaupt noch Rundfunkgebühren? Die jungen Leute werden die Kulturprogramme hören wollen, wenn sie vierzig sind. Bis dahin sind alle gestrichen, weil zunehmend Programm für eine junge Minderheit gemacht wird, die ihr weniges Geld zuletzt an Rundfunkgebühren verschwendet, die sich ihre Musik aus dem Internet holt, auf CDs schwarz brennt und untereinander verhökert.
Also, wozu und für wen die Vernichtung der Sprache im Hörfunk? Richtet sich das gegen Frauen? Oder gegen alle Erwachsenen ab vierzig? Viel einfacher, ganz einfach. Musik ist billiger. Qualifizierte freiberufliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu honorieren, die Reportagen, Interviews, Features und Kommentare liefern, ist teuer. Und da alles teuer geworden ist, vor allem die neue Technik, erhält sich die Spitze in den Sendern durch Kla-Po-Pu (siehe oben) ihre horrenden Spitzengehälter. Der gesellschaftspolitische Bildungsauftrag, zu dem man sich verpflichtet hat, scheint diesen Leuten am Kla-Po-Pu vorbeizugehen, und die anderen werden arbeitslos. Zuerst die freiberuflichen Frauen. Dann die Schwulen. Am Ende der Redakteur. (Aufgepasst, Sie hat die Intendantin auch schon auf dem Zettel!)
Nur der Südwestrundfunk (SWR) und der Deutschlandfunk (DLF) halten noch am Wort fest, und da man den SWR im Norden leider nicht so einfach hören kann, hören immer mehr den DLF. Der wird nun zum gefragtesten Sender, denen geht es gut, und da streichen Intendant und Programmdirektor gleich wieder die Frauen. In Diskussionssendungen über Sozialreform, Rentenloch, Arbeitslosigkeit, Ganztagsschulen oder Brustamputation sind im DLF nur noch Männer als Experten zu hören.
Vor rund zwanzig Jahren erließ der Europarat eine Entschließung über „die Tilgung des Sexismus“ in der öffentlichen Sprache. Wer klagt das ein? Frauen müssen gefragt werden und zu Worte kommen. Da hilft nur Quotierung. Bei der Programmgestaltung wie bei der Besetzung von Gesprächsrunden.
Männer stört es nicht, wenn sie in Anwesenheit einer Alibifrau unter sich bleiben. Frauen müssen das kritisieren und mehr Frauen fordern. Die Feigheit einzelner Frauen kommt aus ihrem Bedürfnis, Männerrunden gefallen zu wollen. Doch je weniger Frauen sich durchsetzen, desto minderwertiger erscheint auch die einzelne Frau, die es zu etwas gebracht hat, desto minderwertiger erscheint die Sache der Frau, desto weniger hat man Lust, der Frau Platz einzuräumen.
Wenn es denn so wäre, dass es junge Leute gibt, die dem gesprochenen Wort nicht länger als zweieinhalb Minuten zuhören können, ist das ein Grund, sie zur Mehrheit machen zu wollen? Ist das nicht vielmehr verwerflich? Die Menschheit ist eine Gedächtniskultur durch gesprochene Sprache. Wer das untergräbt, fördert die Zunahme fühlloser Gewalt. Damit Erlebtes und Geschehenes zu Erfahrung werden kann und zu Einfühlung, bedarf es der Differenz. Die schafft das Wort, besonders das gesprochene und gehörte Wort. Nicht die Musik. Nicht das Bild. Fantasien entstehen beim Zuhören, nicht beim Zusehen. Der Hörfunk löscht nun diese wichtige Aufgabe des Wortes und damit seine eigene Bedeutung. Man sollte die Zuständigen entlassen.