piwik no script img

Archiv-Artikel

Krankenstatistik wirkt immer gesünder

Fehlzeiten wegen Krankheit sinken auf ein Tief. Im Schnitt sechs Krankentage in neun Monaten gezählt

BERLIN taz ■ Der deutsche Arbeitnehmer wird stetig gesünder. Jedenfalls sehen die jüngsten Zahlen zum Krankenstand aus dem Gesundheitsministerium so aus, die gestern von der Welt gedruckt und vom Minsterium bestätigt wurden. Demnach gab es in den Betrieben bis September dieses Jahres weniger Krankheits-Fehlzeiten als je seit der Wiedervereinigung. In den ersten neun Monaten 2004 fehlten ArbeitnehmerInnen im Schnitt 3,6 Prozent der Arbeitszeit, das macht sechs Tage – ein Rückgang gegenüber dem Vorjahr um 11 Prozent.

Bauarbeiter, Müllarbeiter und Postangestellte fehlten am häufigsten – rund 5,7 Prozent der Arbeitszeit –, dicht gefolgt von Bahnangestellten mit 5,6 Prozent. Bank- und Versicherungsangestellte sowie solche in Anwaltskanzleien fehlten am wenigsten: 2,9 beziehungsweise 2,2 Prozent. „Dies spiegelt die Schwere der Arbeitssituation wider“, sagte der zuständige Experte des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reinhard Dombre, gestern zur taz. Die Zahlen belegten, dass vor allem diejenigen Arbeiter und Angestellte, die dem Wetter ausgesetzt sind, krank würden: bei der Post sind das die Zusteller oder bei der Bahn die Schaffner.

Insgesamt sinke der Krankenstand, weil „die Ausfälle wegen klassischer Arbeitsunfälle abnehmen“, sagte Dombre. Für die Schreibtischjobs jedoch „bedeutet die konjunkturelle Situation, dass die Leute auch mal mit dem Kopf unterm Arm zur Arbeit kommen“, sagte Dombre. Der Druck nehme zu: Wer sich krank melde, müsse nach seiner Rückkehr doppelt so viel arbeiten. Es werde „nichts mehr von den Kollegen weggearbeitet“.

Wie sich die Angst um den Arbeitsplatz direkt auf den Krankenstand auswirkt, ist in Zahlen schwer zu ermessen, wird jedoch von Fachleuten als Faktor genannt. Hinzu kommt: Nicht mehr alle holen sich den „gelben Zettel“ und reichen den beim Arbeitgeber ein, wenn sie sich ein oder zwei Tage ins Bett legen müssen, sondern fehlen ohne offizielle Krankschreibung.

Auch andere konjunkturelle und Arbeitsmarkttrends wie Teilzeitbeschäftigung und Minijobbisierung wirken sich auf den Krankenstand aus: Erstens, weil die Belastung durch eine Teilzeitstelle eben nicht so groß ist, zweitens, weil Krankheiten in der Freizeit auskuriert werden. Die Frühverrentung von Vielkranken sorgt dafür, dass diese aus der Arbeitsmarkt- und damit auch der Krankenstandstatistik verschwinden.

„Man sollte außerdem die gestiegenen Arzneimittelverordnungen im Blick haben“, sagte die Pressereferentin der Techniker Krankenkasse, Michaela Speldrich, zur taz. Die Angestellten meldeten sich zwar weniger krank, „werfen aber immer mehr Herz-Kreislauf-Präparate und auch Antidepressiva ein“.

Auch die betrieblichen Gesundheitsprogramme schlagen positiv auf den Krankenstand durch. „Die Einrichtung etwa von Fitnessstudios und Nichtraucherarbeitsplätzen führt in den Betrieben zu klaren Entlastungen“, erklärt Speldrich. Arbeitgeber hätten gemerkt, dass sich solche Investitionen lohnen, und dass „bloß Poster aufhängen nicht mehr reicht“.

ULRIKE WINKELMANN