: Eine Mauer gegen die Angst
Trotz breiter internationaler Kritik setzt die israelische Regierung den Bau der Trennanlagen zum Westjordanland fort.In der Öffentlichkeit herrscht Konsens, dass gebaut werden muss. Nur vereinzelt melden sich kritische Stimmen zu Wort
aus Jerusalem SUSANNE KNAUL
Selten hat Israels Premierminister Ariel Scharon eine so umfassende Unterstützung in der Öffentlichkeit genossen wie in dieser Frage: Über 80 Prozent der Israelis sind für den Bau von Trennanlagen. Das geht aus Umfragen hervor. Nur in rechtsnationalen Kreisen und im linken Spektrum liegen die Zahlen mit 65–70 Prozent etwas niedriger.
Die Zögerer fürchten die Schaffung von Tatsachen. „Die tiefe Linie, die sie (die Mauer) in der Landschaft hinterlässt, wird unsere Grenze sein“, schreibt Ari Schavit in der Tageszeitung Ha’aretz. Hier werde „eine neue Realität“ geschaffen, mit der sich kommende Generationen auseinander setzen müssten.
Die hermetische Abriegelung des Gaza-Streifens, aus dem in den vergangenen drei Jahren keinem einzigen palästinensischen Attentäter der Weg nach Israel gelang, lieferte den Initiatoren der Trennanlagen rings um das Westjordanland das rechte Argument. Expremierminister Ehud Barak, der vor allem gegen Ende seiner Amtszeit die Errichtung eines Zauns vorantrieb, beschuldigte seinen Amtsnachfolger Scharon der Verantwortung für den „Tod von 500 Menschen“, die noch heute am Leben sein könnten, wenn der Bau nur rechtzeitig aufgenommen worden wäre.
Ein Zaun als Lösung für den Terror in Israel. Nur einige wenige Kritiker im linken Lager warnten vor der Idee, die nicht „auf rationale Überlegungen, sondern auf ein psychologisches Bedürfnis“ begründet sei, so der politische Analyst Meron Benvenisti. Der Wunsch nach einer „Mauer gegen die Angst“ sei so groß, dass „niemand Fragen stellen wird“.
Mit Ausnahme von den jüdischen Siedlern, die sich mit dem Problem allein und hinter der Mauer zurückgelassen sahen, stieß das Projekt tatsächlich sofort auf so breite Zustimmung, dass Scharon nicht daran vorbei konnte. Schon wenige Monate nach dem Regierungswechsel übernahm er den Schutzwall in sein Programm. Selbst die palästinensische Führung hielt sich mit Kritik zurück, forderte allerdings den Bau entlang der so genannten Grünen Grenze, der Waffenstillstandslinie von 1967.
Auf Distanz gingen zunächst nur die arabischen Abgeordneten in der Knesset, allen voran Achmad Tibi, der Landenteignungen in den Dörfern der Grenzregion befürchtete, wo zumeist israelische Araber leben. Dem in Israel herrschenden Konsens liege der „Irrtum“ zugrunde, dass der Zaun „ein Zaubermittel gegen den Terror sei“. Anstelle von neuen Mauern und Zäunen müsse „das Konzept der Besatzung verändert werden“.
Immerhin bietet die israelische Regierung den eigenen Staatsbürgern, auch wenn sie Araber sind, Wiedergutmachung in Form von Landersatz oder Geld. Ein Privileg, von dem die Palästinenser jenseits der „Grünen Grenze“ nur träumen können. Schon jetzt leben zehntausende von ihnen zwischen Zäunen, haben keinen Zugang zu Schulen, Kliniken, zu ihren Feldern und Verwandten. Die Trennanlagen führen durch ihr Land, weil die meisten jüdischen Siedlungen auf westlicher, israelischer Seite bleiben. Wie eine Schlange ziehen sich Gräben, Zäune und Mauern durch das Westjordanland. „Die Grenze ist 430 Kilometer lang“, sagt Tibi, „gebaut werden 1.100 Kilometer“.
Um die Landenteignungen und die erschwerten Lebensumstände der palästinensischen Nachbarn zu verhindern, stellte der unmittelbar an der „Grünen Grenze“ gelegene Kibbuz Metzer eigenes Land für den Mauerbau zur Verfügung, was die Regierung indes ablehnte. „Die Leute auf der anderen Seite des Zauns können nicht zu ihren Olivenhainen“, schimpft Kibbuz-Sekretär Dov Avital. „Diese Grenze säht nur neue Gewalt.“
Auch als im vergangenen November Metzer Schauplatz eines palästinensischen Überfalls wurde, bei dem fünf Menschen erschossen wurden, hielt der Kibbuz an seinem Angebot fest. „Der Anschlag hat nur bei denen etwas verändert, die dachten, wir bräuchten den Zaun nicht“, erklärt Avital, der von vornherein eine grundsätzliche Trennung befürwortet hatte.
„Um die Sicherheit der Juden zu schützen“, schreibt Amira Hass in Ha’aretz, „kann palästinensisches Land beschlagnahmt werden, können dutzende Dörfer, die hunderte Jahre alt sind, zerstört und ihre Bewohner vertrieben werden. Aber es ist nicht möglich, eine jüdische Siedlung aufzulösen, die erst vor 30 Jahren errichtet wurde.“ Dass das so ist, lässt die Juden im Westjordanland, die zunächst lautstark gegen die Trennanlagen protestiert hatten, offensichtlich wieder ruhiger schlafen. „Es wird gebaut, daran können wir nichts ändern“, kommentierte Jehuschua Mor-Jossef, Sprecher des Dachverbandes der Siedler. Jetzt ginge es nur noch um die Route.