: Durch‘s Spannungsfeld in die Champions League
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen ist ein international renommiertes Ensemble und möchte diesen Status ausbauen. Was aber sind die Faktoren, die nötig sind, um Spitzenleistungen zu erzielen? Um das zu klären, hat das Orchester zusammen mit dem Personalmanager Christian Scholz ein Führungsmodell für Hochleistungsteams entwickelt
Christian Scholz ist Lehrstuhlinhaber für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Organisation, Personal- und Informationsmanagement an der Universität des Saarlandes. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen wurde auf Scholz aufmerksam, nachdem dieser in seinem 2003 erschienenen Buch „Spieler ohne Stammplatzgarantie“ am Beispiel von Bayern München Mechanismen von Hochleistungsteams analysiert hat.
Herr Scholz, was hat Sie denn an Bayern München interessiert?
Christian Scholz: An Bayern München kann man sehr gut das Grundprinzip von Hochleistungsteams deutlich machen. Die theoretische Grundlage, mit der ich arbeite, ist meine Darwiportunismus-Forschung. Darwiportunismus bedeutet, dass es auf der einen Seite darwinistische Mechanismen gibt, wo der Markt selektiert. Und auf der anderen Seite opportunistisches Handeln und Denken der Einzelakteure steht, die sehr genau ihre eigenen Ziele im Auge haben. Genau das trifft in einem Hochleistungsteam in geregelter Form zusammen.
Bei Bayern München konnte man den Zusammenhang zwischen darwinistischen und opportunistischen Tendenzen sehr schön bei Hitzfeld sehen. Er war es, der ganz offen die Stammplatzgarantie abgeschafft hat. Allerdings hat er das nicht konsequent genug gemacht, was ihm zweimal die Meisterschaft gekostet hat: einmal mit Effenberg und einmal mit Kahn.
Warum ist die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen ein Hochleistungsteam?
Hier ist zunächst die Frage zu klären, woran man erkennt, dass die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen wirklich ein Hochleistungsteam ist. Dies lässt sich anhand von externen Marktfaktoren erkennen. Hier kann man zurückgreifen auf objektive Kriterien: beispielsweise positive Kritiken, Engagements bei den Salzburger Festspielen, Auftritte wie in der Carnegie Hall oder große Solisten und Top-Dirigenten, die sie verpflichten können.
Wodurch aber ist die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen zu einem Hochleistungsteam geworden? Das ist die eigentlich spannende Frage. Wir haben zunächst verschiedenste Gruppenübungen durchgeführt, die dazu dienten, dass ich das Orchester verstehe. Dann habe ich das Orchester bei Proben und bei Auftritten beobachtet. Aus dieser Analyse entstand das Fünf-Sekunden-Modell: Wir haben nämlich festgestellt, dass der eigentliche Schlüssel zum Erfolg darin besteht, dass die Teammitglieder der Kammerphilharmonie fünf widersprüchliche Begriffspaare in einer handhabbaren Form kombinieren, die wir „Die fünf Sekunden“ nennen.
Ein Beispiel ist „Notwendigkeit und Sinn“: Bestimmte Dinge sind notwendig für ein Orchester – ob das jedem Spaß macht, ist eine andere Geschichte; trotzdem darf gerade bei einem Hochleistungsteam die individuelle Sinnfrage nicht zu kurz kommen. Eine andere Sekunde lautet „Hierarchie und Demokratie“. Hochleistungsteams brauchen Phasen, in denen sie strikt hierarchisch operieren, in denen der Dirigent dabei ist und sagt, wie’s funktioniert. In anderen Phasen dagegen stehen demokratische Abläufe im Mittelpunkt: Die Musiker bringen als musikalische Experten auf ihren Instrumenten ihre Ideen in den Entwicklungsprozess ein und sorgen dafür, dass ein wirkliches Hochleistungsprodukt entsteht.
Wie lässt sich dieses Modell in die Praxis umsetzen?
Zum einen durch strukturelle Maßnahmen. Zum anderen, und das ist aus meiner Sicht noch mehr entscheidend, können Unternehmen von der Denkhaltung der Musiker lernen. Hochleistung bedeutet bewusster Umgang mit Spannungsfeldern. Vereinfacht ausgedrückt: Man fällt also nicht in Ohnmacht, wenn man erkennt, dass man in einen Konflikt zwischen Demokratie und Hierarchie kommt.
Schwierig für Hochleistungsteams ist immer auch das Begriffspaar „Perfektion und Abenteuer“. Auch hier kann man viel vom Orchester lernen: Um zu einem wirklich beeindruckenden Konzerterlebnis zu kommen, braucht man in der Vorbereitungsphase Perfektion. Abends im Konzertsaal kommt dann durch das Zusammenspiel zwischen Dirigent und Orchester der bewusste Aspekt „Abenteuer“ dazu. Das ist der Unterschied zwischen der perfekten Routine und der absoluten Hochleistung.
Was kann Bayern München von der Kammerphilharmonie lernen?
Dass absolute Hochleistung dann zustande kommt, wenn durchgängig alle „fünf Sekunden“ berücksichtigt werden. Denn im Fall von Sportmannschaften greifen die gleichen fünf Begriffspaare. Also „Hierarchie - Demokratie“ genauso wie „Energie - Konzentration“. Oder „Perfektion - Abenteuer“: Eine Fußballmannschaft gewinnt nicht dadurch, dass sie perfekt spielt. Sie braucht den Zug zum Abenteuer, wo eben auch der risikoreiche Pass gespielt wird.
Interview: Klaus Irler