: Bodenständige Baukunst
Das Festival Archiczech feiert die hierzulande wenig bekannte zeitgenössische Architektur aus dem Nachbarland Tschechien. Auch die tschechische Botschaft erlaubt eine Führung durch ihr Gebäude
VON FRIEDERIKE MEYER
Auf viele Betrachter wirkt das Botschaftsgebäude der Tschechischen Republik in der Wilhelmstraße wie ein abweisender Klotz aus dunklem Glas und Beton. Dabei ist sein original erhaltenes Inneres mit den holzvertäfelten Wänden, den roten Kunstledersesseln und langen Glasröhrenlampen ein architektonischer Leckerbissen. Kaum bekannt ist auch, dass Berlin dieses Baukunstwerk der Siebzigerjahre dem tschechischen Architektenpaar Věra und Vladimír Machonin zu verdanken hat.
Das hat zwei Gründe: Erstens erlaubt die Botschaft nur selten Führungen durch ihr Gebäude, und zweitens hat sich die heute 81-jährige Architektin Věra Machoninová seit dem Tod ihres Ehemanns 1990 gegen eine Musealisierung ihres Werkes gesperrt. „Das könnt ihr machen, wenn ich tot bin“, hat sie der Prager Kunsthistorikerin Radomíra Sedláková erklärt, die sich seit langem mit dem Werk des Architektenpaars beschäftigt. Machoninovás Haltung ist erstaunlich, zumal Architekten doch eine Spezies sind, die um Aufmerksamkeit buhlt und stets fürchtet, zu wenig beachtet zu werden.
In unserem östlichen Nachbarland scheint dies etwas anders zu sein. Bescheiden und bodenständig gibt sich die Profession. Oder wie ist es sonst zu erklären, dass selbst gestandenen tschechischen Architekturkritikern keine Namen einheimischer zeitgenössischer Architekten einfallen? Diejenigen, über deren Werk geschrieben wird, haben das Land bereits vor Jahrzehnten verlassen. So ein Beispiel ist der im Januar verstorbene Jan Kaplicky, Begründer des berühmten britischen Büros „Future Systems“, oder Ivan Reimann, der mit Thomas Müller in Berlin das Außenministerium erbaute. Dabei muss die Ära der staatlichen tschechoslowakischen Projektierungsbüros, in denen weniger die Kreativität des Einzelnen als vielmehr die kollektive Plansollerfüllung im Vordergrund stand, erst noch aufgearbeitet werden. Auch die junge Generation, die zum Teil im Ausland studierte und an die Szene längst Anschluss finden konnte, ist international noch kaum präsent.
Zeitgenössische Architektur ist eben nicht das, was Deutsche mit Tschechien verbinden. Vielmehr kommen Bilder von alten Kirchen in den Sinn oder von historischen Marktplätzen. Vielleicht noch Mies van der Rohes Villa Tugendhat in Brünn und die Villa Müller von Adolf Loos in Prag. Dass Tschechien in den Zwanziger- und Dreißigerjahren ein Zentrum der europäischen Architekturavantgarde war und dass es überall im Land hervorragende Beispiele der Moderne und des Funktionalismus gibt, gehört zum Spezialwissen. Auch die kubistischen Bauten, die für einen weltweit einzigartigen Architekturstil stehen, und das Werk des Otto-Wagner-Schülers Jan Kotera, der als Wegbereiter der modernen tschechischen Architektur gilt, müssen noch entdeckt werden. Ebenso die neuere Architektur: private Wohnhäuser vor allem und Ergänzungen im Altbau, aber auch Hotels und Ladeneinrichtungen. Sie sind nicht spektakulär, dafür oft sorgsam detailliert und behutsam gefügt zwischen die Mauern unzerstörter Innenstädte oder eingebettet in die liebliche Landschaft der böhmischen und mährischen Mittelgebirge.
Was man vom Unprätentiösen lernen kann, zeigt seit Mittwoch das Festival „Czecharch“. Die Initiatoren der Prager Architekturgalerie Jaroslav Fragner nutzen die Aufmerksamkeit während der EU-Ratspräsidentschaft, um das zeitgenössische Architekturschaffen in ihrem Land zu präsentieren. Gemeinsam mit dem Tschechischen Zentrum und dem Deutschen Architektur Zentrum haben sie Vorträge, Exkursionen und Führungen organisiert und zeigen gleich fünf Ausstellungen an drei Berliner Orten.
Noch nie hat es außerhalb des Landes eine derartige Konzentration an Schautafeln gegeben, die mit tschechischen Bauten und ihren Architekten bedruckt sind. Im Deutschen Architekturzentrum zum Beispiel werden im Rahmen von „Intercity Berlin-Praha“ acht Büros aus beiden Städten vorgestellt. Es geht dabei auch um den Einfluss gesellschaftlicher Systeme auf die Entwürfe und Denkweisen von drei Architektengenerationen, der heute 30-, 40- und 50-Jährigen. „Wir wollen keine Leistungsschau präsentieren, sondern zur Diskussion über Architektur anregen“, erklärt Igor Kovacevic vom Prager „Centre for Central European Architecture“. Mit dem Thema Nachhaltigkeit und Energieeffizienz befasst sich wiederum eine kleine Schau im Tschechischen Zentrum auf der Friedrichstraße, die verdeutlicht, was das Land unter dem vielstrapazierten Begriff „Green Architecture“ versteht. 50 aktuelle Bauten aus Prag werden wiederum in der Tschechischen Botschaft gezeigt. Dass das Gebäude der Öffentlichkeit nun zugänglich ist, gehört zu den Höhepunkten des Festivals. Bis zum 7. Mai sind in seinem Foyer auch Skizzen, Zeichnungen und Fotos des Werks von Věra und Vladimír Machonin zu sehen, die in ihrem Land längst als Stilikonen gelten. Der Vorschlag, in einem ihrer bedeutendsten Bauten ausgestellt zu sein, hat die öffentlichkeitsscheue Machoninová schließlich doch überzeugt.
Weitere Information unter: www.daz.de