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Archiv-Artikel

Archaisch, duftig – und mörderisch gut

Die einzigartige Weinkultur aus dem Süden Andalusiens ist bei uns immer noch eine große Unbekannte. Aber Sherry ist mehr als ein altmodischer Aperitif

von TILL DAVID EHRLICH

Lars Rutz ist ein Star in Berlins Weinszene. Seine Weinbar an der Chausseestraße setzt Trends in der Hauptstadtgastronomie. Dabei ist der 33-Jährige alles andere als ein Weinschnösel im dunklen Anzug. Im hellblau leuchtenden, leicht aufgeknöpften Hemd wirkt Rutz stilvoll und offen. Gerade ist er zum Sommelier des Jahres gekürt worden. Wenn Rutz über Wein spricht, sprudelt Enthusiasmus wie Champagner aus der Flasche. Doch fragt man ihn nach Sherry, verfliegt die Euphorie: „Es ist traurig, dass Sherry zum Aperitif verkommen ist.“

Denn Rutz schätzt Sherry sehr: „Da ist Spannung drin, eine Menge geschmacklicher Nuancen.“ Aber das werde nicht wahrgenommen. Weintrinker und Gastronomen seien ganz auf die Geschmacksrichtungen Dry, Medium und Cream fixiert. Dass es unterschiedliche Hersteller mit eigener Stilistik gibt, sei kaum vermittelbar. Hauptsache billig. Und dann spricht Rutz von Traumkombinationen. Sherry zu einer Essenz vom Perlhuhn, zu Fisch, zu Meeresfrüchten.

Doch der Zeitgeist meint es nicht gut mit dem gehaltvollen Wein. Dabei ist das Problem hausgemacht. Jahrzehntelang haben die Spanier in Deutschland ihren Sherry als billigen Aperitif vermarktet. Das war bequem und bescherte in den Achtzigerjahren einen gewissen Boom. Seitdem sind die Umsätze rückläufig, jede Supermarktkette bietet eine Billignummer für drei Euro die Flasche. Zwischen Campari und Whisky verstaubt der Sherry in den Regalen.

Dabei kann der Wein auf eine ehrwürdige und lange Geschichte zurückblicken. Das Sherryland liegt im Süden Andalusiens, nahe am Atlantik. Ein Landstrich, den vor über drei Jahrtausenden die Phönizier besiedelt haben. Sie gründeten Xera, das heutige Jerez de la Frontera, das jahrhundertelang Grenzstadt war. Hier mischten sich Kulturen, prallten Religionen aufeinander. Ob Phönizier, Römer, Mauren, Juden oder Christen, sie alle haben Spuren hinterlassen. Auch in jenem oxydativ ausgebauten Wein, dessen Wesen archaisch und geheimnisvoll ist. Ein Dinosaurier, der nicht in die schicke Welt trendiger Barriqueweine passt.

Aber Sherry verkörpert in seiner scheinbaren Zurückgebliebenheit eine wesentliche Wurzel unser Weinkultur. Das Weingebiet ist von schneeweißen Kreideböden geprägt, die in der wolkenlosen Hitze Andalusiens flimmern. Dort wachsen die Trauben für den berühmten Wein. Sein Charakter wird in den kühlen und dämmrigen Lagerhallen geprägt, deren Inneres manchmal an eine Kathedrale erinnert. In der Dunkelheit endloser Fassreihen reift Wein zu Sherry, manchmal ein Menschenleben lang.

Es sind uralte Eichenfässer. Darüber hängen metergroße Spinnweben, die von den Kellermeistern gepflegt werden, weil sie die Fässer vor Insekten schützen. Die Fässer fassen etwa sechshundert Liter, sind aber nur zu zwei Dritteln gefüllt. So bildet sich auf der Weinoberfläche eine Hefeschicht, der Flor. Er schwimmt auf dem Wein. Wie ein Streuselkuchen sieht die Florhefe von oben aus, darunter reift der Fino, der in Sanlúcar de Barrameda Manzanilla heißt. Die drei Zentimeter dicke Florschicht schützt den Wein vor Luft und Bakterien. So bewahrt er seine helle Farbe und die subtilen Aromen. Fino bedeutet: der Feine und Fruchtige. Manzanilla heißt Kamillentee, bezieht sich auf die Farbe dieses speziellen Sherrys. Nur Wein, der unter dem Flor gereift ist, heißt Fino oder Manzanilla. Er darf nicht oxydieren, muss abgefüllt werden, solange die Florhefe lebt.

Fino und Manzanilla müssen mindestens drei Jahre unter dem Flor reifen. Bessere Qualitäten reifen oft acht Jahre, Spitzenqualitäten zwanzig. Der Kellermeister, der Capatáz, nährt die Hefe, indem er immer wieder kleine Mengen frischen Weins in die Fässer füllt.

Die Hefe startet in den Fässern ihr Selbstmordprogramm. Der Alkohol, den die fleißigen Hefen bei der Gärung erzeugen, tötet sie am Ende. Es gibt verschiedene Wege, sie umzubringen. Dem Sherry Alkohol zuzugeben ist die billige und brutale Tour. Das ist bei Massensherrys üblich und führt zu minderer Qualität. Spitzensherrys verlieren ihre Hefe behutsam. Durch natürliche Verdunstung. Es ist ein langsamer Tod, der sich Jahre hinziehen kann. Es wird kein frischer Wein mehr zugegeben, der Fassinhalt verdunstet und der Alkoholgehalt steigt. Das ist teuer, zeitaufwändig, bringt aber beste Sherrys hervor.

Wenn der Flor stirbt, sinkt er auf den Fassboden. Jetzt kann die Luft den Wein direkt angreifen. Luftsauerstoff oxydiert den hellgelben Fino zu bernsteinfarbenem Amontillado. Jeder Amontillado war zuerst ein Fino oder Manzanilla. Amontillados sind im Geschmack kraftvoller. Um den Wein vor Mikroorganismen zu schützen, gibt der Kellermeister etwas Alkohol ins Fass. Dieses „Spriten“ konserviert den Sherry.

Es gibt Fässer, in denen sich keine Florschicht auf dem Wein bildet, weil er von Anbeginn mit Alkohol versetzt worden ist. Dann oxidiert die Luft den Wein zum Oloroso. Das kann Jahrzehnte dauern. Dabei entstehen großartige, duftige Sherrys, der langsame Prozess bringt köstliche Aromen hervor. Ob Fino, Manzanilla, Amontillado oder Oloroso, die Reife vollzieht sich stets in Fassreihen, den Soleras. Die Bodegas pflegen verschiedene Soleras, jede hat ihren eigenen Charakter. Durch das permanente Auffüllen verliert sich die Jahrgangstypizität. Sherry ist eigentlich ein knochentrockener Weißwein aus der Rebsorte Palomino. Erst zum Schluss kann er, je nach Stil, mit etwas Süßwein gemischt werden. Finos und Manzanillas sind stets trocken. Durch Beigabe von Süßwein entstehen Medium-Amontillados und -Olorosos sowie die berühmten Creams. Der Süßwein wird aus den Trauben Pedro Ximénez (PX) oder Moscatel (Muskateller) gewonnen. Die Spanier verstehen unter „trocken“, dass der Wein ohne Zucker ist. Sherrys, die als „dry“ deklariert werden, sind daher absolut trocken. Eigens für den deutschen Markt wird dem Dry etwas Süße zugegeben. Ein Paradox, das viel über das neurotische Verhältnis der Deutschen zur Süße sagt.

Dann gibt es noch Almacenista-Sherrys. Almacenista kommt aus dem Arabischen, bedeutet Lagerhalter. Die Almacenistas sind kleine Winzer, die beste Weinbergslagen bewirtschaften. Sie lagern ihre Sherrys manchmal dreißig bis hundert Jahre in einer Solera. Ein guter Almacenista hat Geduld. Er schenkt dem Sherry, was er braucht, um einzigartig zu werden: Zuwendung und Zeit. Sherry gehört zu den großen Weinen dieser Welt. Reich wird man davon nicht, Almacenistas haben noch einen Nebenberuf, der sie ernährt. Wenn sie rein wirtschaftlich denken, müssten sie aufgeben. Aber sie lieben ihren Sherry.

TILL DAVID EHRLICH, 39, ist Wein- & Food-Journalist in Berlin. Gerade wurde ihm für seine Reportage in der Zeitschrift Slow Food über den Steillagen-Weinbau an der Mosel der deutsche Journalistenpreis des Champagner-Hauses Lanson verliehen