: Ministerin bremst innovative Schule aus
Eine Grundschule im münsterländischen Olfen will um ihr innovatives klassenübergreifendes Modell kämpfen. Das nordrhein-westfälische Schulministerium lässt nicht mit sich reden und will 2005 sein eigenes System einführen
OLFEN taz ■ Für Bettina Voß ist vor zehn Tagen die Welt zusammengebrochen. Da erfuhr sie, dass das erfolgreiche Grundschulmodell, an dem ihre Tochter teilnimmt, vom Schulministerium verboten werden soll. Das Land will ab dem Jahr 2005 die Grundschule reformieren, lässt aber bestimmte Variationen nicht zu. „Wir lassen uns das nicht bieten, das können die mit uns nicht machen“, sagt sie den Tränen nahe. 160 Protestunterschriften von Eltern hat sie gesammelt und ans Ministerium geschickt. Eine Antwort blieb bisher aus.
Seit drei Jahren erprobt die Wieschhofschule im münsterländischen Olfen eine außergewöhnliche Schulform: Schüler der ersten Klasse sitzen mit den Drittklässlern im Klassenraum, Zweitklässler werden von Viertklässlern in die Obhut genommen. Ein paar Stunden in der Woche wird getrennt unterrichtet, die meiste Zeit sitzen die Kleinen aber neben ihrem zwei Jahre älteren „Paten“. Und das klappt erstaunlich gut: „Der Lernstand meiner Tochter hat sich enorm gebessert“, sagt Voß. Auch die Rhetorik würde dadurch geschult, dass die Älteren den Jüngeren den Stoff erklären müssten. Dazu komme, dass die Atmosphäre viel friedlicher sei als in den herkömmlichen Jahrgangsklassen.
Auch Rektor Theo Göbel kommt aus der Begeisterung für sein Modell nicht mehr heraus. Vor sieben Jahren hätte er seine LehrerInnen an anderen Schulen hospitieren lassen, um neue Impulse zu erhalten. Das so genannte „3/1 und 4/2-Modell“, das an einer Schule in Bonn praktiziert wurde, habe ihn und viele Eltern überzeugt: 175 von etwa 650 Schülern nehmen bereits daran teil. Gerade der relativ große Altersunterschied lasse die Helferfunktion der Älteren deutlich werden, sagt Göbel. „Die Großen rivalisierten weniger, die Kleine werden wissbegieriger.“
Das soll jetzt ein Ende haben, obwohl der Reformwille seit dem schlechten Abschneiden der deutschen Schüler bei PISA und der Grundschulstudie IGLU auch in NRW durchaus vorhanden ist. Im nächsten Jahr werden die ersten beiden Klassen zu einer so genannten „Schuleingangsphase“ zusammengefasst, in der Schüler „individuell“ und „nach ihren Fähigkeiten“ unterrichtet werden sollen. Besonders gute Schüler können nach einem Jahr in die nächste – dritte – Klasse gehen, schwächere Altersgenossen sollen drei Jahre in der Eingangsphase verweilen. Dass Kinder unterschiedlichen Alters gemeinsam unterrichtet werden, ist zwar nicht gesetzlich vorgeschrieben, vom Schulministerium aber angestrebt. „Wir freuen uns über jede Schule, die jahrgangsübergreifend unterrichtet“, sagt Ministeriumssprecher Ralph Fleischhauer. Das „3/1-System“ der Olfener Grundschule sei jedoch mit der Einführung der Schuleingangsphase nicht kompatibel. Und die Aufregung hält er für übertrieben: „Es müsste doch kein Problem sein, das Olfener Modell an das neue Gesetz anzupassen“.
Das sieht Eltern-Vertreterin Voß anders. „Wir können doch mit den Kindern nicht Ping-Pong spielen“, regt sie sich auf. Die Klassen müssten auseinander gerissen werden. „Wieso kann unsere Schulform nicht einfach neben den neuen weiter bestehen?“, fragt sie. Mit den anderen Eltern zusammen will sie die Ministerin an ihre eigenen Wort erinnern: „Wir setzen uns nicht über die schulischen Erfahrungen und über gute Praxis vor Ort hinweg“, schrieb diese noch im August in einem Rundbrief an die Grundschulen im Land. „Wir werden für unser Modell kämpfen“, sagt Voß. „Wenn die Ministerin nicht mit uns sprechen will, müssen wir nach Düsseldorf fahren.“ NATALIE WIESMANN