32 Stunden und Arbeit für alle

Der Trend geht zu mehr Schuften für weniger Geld, damit Deutschland am Leben bleibt. Telekom und Komatsu-Hanomag zeigen: Wer nicht nur kürzt, sondern nachdenkt, kann Jobs und Lebenszufriedenheit sichern

Von Kai Schöneberg

Der Damm ist längst gebrochen: Siemens oder DaimlerChrysler lassen ihre Mitarbeiter wieder 40 Stunden lang arbeiten, in Bayern und Hessen ackern die Beschäftigten im öffentlichen Dienst schon 42 Stunden pro Woche - natürlich ohne Lohnausgleich. Auch wenn sich in diesen Tagen die Einführung der 35-Stunden-Woche zum 20. Mal jährt: Der Trend geht zu mehr Arbeit für weniger Geld, damit Deutschland am Leben bleibt.

„Für die Telekom und ihre Angestellten hat die Einführung der 34-Stunden-Woche zu einer Win-Win-Situation geführt“, sagt Wolfgang Schröder, Personalchef der Niederlassung Nordwest, die sich zwischen Nordsee, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen um Geschäftskunden kümmert. Auch wenn sich vielerorts die Bosse die Finger reiben, Edmund Stoiber über das Ende des „deutschen Sonderwegs“ jubelt und die Merkel-CDU gar in einem Thesenpapier theoretisch bis zu 73 Stunden pro Woche möglich machen will: Mit klugen Konzepten lassen sich mit weniger Arbeit mehr Jobs – und auch mehr Lebenszufriedenheit – organisieren. Das wollte der DGB Niedersachsen gestern in einer Tour durch Betriebe zeigen. Motto: „Arbeitszeit – Schein und Sein“. „Hätt‘ er mehr Teilzeit, könnt‘ er länger“, schmunzelte einst eine Postkarte des DGB, auf der eine Frau ziemlich frustiert auf einen ermatteten Adonis schaut. „Es gibt viel schönere Dinge als Arbeit“, schmunzelt auch Helmut Spitzley, Arbeitswissenschaftler von der Uni Bremen. Derzeit registriert er, wie sich „Existenzängste wie eine Epidemie bis in den Mittelstand ausweiten“. Dabei sei nicht eine sieche Wirtschaft, sondern mehr Frauen in Arbeit und die gewachsene Produktivität Ursache für das Arbeitsmarkt-Debakel und das Gerede vom deutschen Patienten. Nach seinen Berechnungen ließe sich „Arbeit für alle bei einer 32-Stunden-Woche zu neuen Bedingungen organisieren“ – er meint ohne vollen Lohnausgleich. Laut Umfragen hätten zwei Drittel der Deutschen nichts gegen eine 30-Stunden-Woche. Dann, so Spitzley, wären „Geschlechtergerechtigkeit und Balance von Arbeit und Leben“ erreicht. VW habe in den neunziger Jahren, „ich nenne das jetzt mal Hartz Null“, durch die Einführung der 29-Stunden-Woche zehntausende Arbeitsplätze gerettet, betonte Spitzley. Freilich ist davon bei den laufenden Tarifverhandlungen nicht die Rede, weil die Werke nicht ausgelastet sind. Dennoch ist in der niedersächsischen Metallindustrie noch die 35-Stunden-Woche die Regel. Der DGB wollte das bei Komatsu-Hanomag demonstrieren. Dort haben auch die japanischen Inhaber nichts gegen eine atmende Arbeitszeit, die je nach Auslastung zwischen 27 und 40 Stunden pendelt. 550 Mitarbeiter fertigen am Standort des alten Lastwagenherstellers Hanomag fast 2.000 Radlader pro Jahr – Tendenz steigend. Seit Juni ist die Firma nach 17 Jahren sogar wieder in den Arbeitgeberverband eingestiegen und zahlt Tarif. „Wir sind jetzt dabei, Teile aus der mechanischen Fertigung, die wir ausgelagert hatten, wieder zurückzuholen“, freut sich Betriebsratschef Klaus-Peter Volle. IG-Metall-Sprecher Jörg Köther betont, die Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung sei gut: „Hier gibt es keine ideologischen Grabenkämpfe.“

Der Telekom-Tarifvertrag vom März hat bis 2008 betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen. Das Gesamtpaket sei eine „Trendwende, ein Signal“ gewesen, betont Betriebratschef Hermann Klett. Durch die Reduzierung der Wochenarbeitszeit um vier Stunden seien bundesweit fast 10.000 Jobs gerettet worden. Allein die Belegschaft im Nordwesten konnte um 93 Stellen aufgestockt werden – nachdem sie in den vergangenen drei Jahren von 1.300 auf 860 geschrumpft war.

Wermutstropfen: der „Solidarbeitrag“ der Beschäftigten. Weihnachts- und Urlaubsgeld wurden gestrichen, gut sechs Prozent des Gehalts. Natürlich gab es „gewisse Störungen“ bei der Einführung der 34-Stunden-Woche, gesteht Telekom-Personalchef Schröder und redet von „Arbeitsspitzen“ – obwohl man Spezialisten von der Regelung ausgeschlossen hat. Schröder weiß auch, dass bei den Mitarbeitern der ehemaligen Staatsfirma massive Verunsicherung grassiert: „Ich kann nur unterschreiben, dass die Rhythmen der Reorganisation bei uns zu kurz sind. Allerdings sind wir in zehn Jahren vom Markt, wenn wir unsere Strukturen nicht ständig ändern.“ Klar: Eine Erhöhung der Stundenzahl ohne Lohnausgleich wäre noch günstiger für die Telekom gewesen. Personalchef Schröder: „Ob es bei der Arbeitszeit künftig in eine andere Richtung geht, wird allein der Markt zeigen“.