Inszenierung ihrer selbst

Elfriede Jelinek muss sich schützen, weil sie sich in ihrer Literatur verschwendet. Mit „Lust“ wurde sie zur Klassikerin

VON JÖRG SUNDERMEIER

Diese Autorin ist ein Ereignis. Als Autorin gleich von Anfang an. Der Schriftsteller Peter O. Chotjewitz erzählt eine bezeichnende Geschichte. Anfang der Sechzigerjahre war er Juror bei einem Literaturwettbewerb für junge Autorinnen und Autoren, es gab drei Kategorien, Drama, Prosa und Lyrik. Die Texte wurden, wie üblich, anonym vorgelegt. Recht schnell hatten sich die Juroren auf die Texte einigen können, und daher waren sie sehr verwundert, dass eine junge Frau, Anfang der Zwanzig, in allen drei Kategorien gewonnen hatte: Elfriede Jelinek. Sie sei sehr zurückhaltend gewesen bei der Preisverleihung, erzählt Chotjewitz, man hätte kaum glauben mögen, dass diese junge Frau diese Texte geschrieben habe. Karl-Heinz Bohrer, gar nicht öffentlichkeitsscheu, wiederum erzählte vor ein paar Jahren, er habe es abgelehnt, sich mit der Jelinek auf ein Podium zu setzen, er habe Angst davor gehabt.

Zwischen diesen beiden Anekdoten klafft eine Lücke, darin ist die Medienfigur Elfriede Jelinek aufgehoben. Man kennt sie nicht so wie Chotjewitz, vielmehr kennt man die selten, dann aber professionell auftretende Dramatikerin, Romanautorin und Lyrikerin nur in Inszenierungen ihres selbst – stark geschminkt, den Mund zu einer Linie verschlossen, der Blick scharf. Auf einem Foto sah man sie sogar, schon als ältere Frau, mit blonden Zöpfen und einem zu kurzem Mädchenrock. Männer schrecken vor einer solchen Inszenierung eher zurück, denn sie macht sich nicht für sie schön.

Jelinek muss sich schützen, nicht, weil sie eine Frau ist, und daher automatisch zartbesaitet, sie muss sich schützen, weil sie sich in ihrer Literatur verschwendet. Als sie 1983 ihren Roman „Die Klavierspielerin“ veröffentlichte, zusammen mit „Die Ausgesperrten“ ihr konventionellster Roman, wurde viel darüber spekuliert, inwieweit die in einer fast sklavischen Abhängigkeit zur Mutter stehende Hauptfigur des Romans, die sich ihrer unterdrückten Triebe wegen in sadomasochistische Exzesse stürzt, mit der Autorin identisch sei. Es war eine der Hauptfragen der Kritiker, obschon die Wirkung dieses Romans nicht auf autobiografischen Details fußt, vielmehr beschäftigt sich Jelinek in diesem Buch mit der Tochterrolle in der patriarchalen Gesellschaft.

Die Rolle der Frau war gleich von Anbeginn an ihr Thema, untrennbar verbunden mit den anderen hässlichen Effekten des Kapitalismus, also Rassismus, Männlichkeitswahn, Medienterror, Nationalismus, all das findet sich bereits in ihrem ersten avantgardistischen Roman „wir sind lockvögel baby“. Die lange Zeit dem Austromarxismus zugeneigte Autorin verstand es dank der Inszenierungen ihrer Figur recht schnell, ein größeres Publikum zu erreichen. Ihre bereits populäreren Bücher „Die Liebhaberinnen“ und „Michael. Ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft“ aus den 70ern gelten einigen ihrer Fans noch immer als ihre besten Bücher. Zugleich eroberte Jelinek die Bühnen, sie verfasste Drehbücher und äußerte sich dezidiert zu Kunst und Politik und wurde dennoch nie als engagierte, politische Literatin wahrgenommen, zunächst nur als „gut schreibende Frau“.

Aus diesem auf sie projizierten Geschlechtergefängnis befreite sie sich erst mit ihrem Roman „Lust“, der ja gerade versuchte, eine weibliche Sprache der Pornografie zu erfinden, und daran scheiterte. Was von diesem Projekt übrig blieb war das Gegenteil, ein Trivialromanplot – unglückliche Unternehmerfrau sehnt sich nach Liebe – den Jelinek vermittels ihrer Sprache und ihrer präzisen Beschreibung gesellschaftlicher Prozesse in ein einziges Horrordrama verwandelte, in der Konsequenz, mit der sie dies tut, einzig mit der ihr vorausgehenden Gisela Elsner und der ihr nachfolgenden Marlene Streeruwitz vergleichbar.

Seit diesem Buch ist Elfriede Jelinek kein „Talent“ mehr, sie ist eine Klassikerin der deutschsprachigen Literatur. Ihre grandiose Zitatmontage „Wolken.Heim“, ihr Heidegger-Stück „Totenauberg“, das antirassistische Drama „Stecken, Stab und Stangl“, die Romane „Die Kinder der Toten“ und „Gier“ erwiesen stets wieder ihre Meisterschaft.

Und ihre Feindschaft zu Österreich und Deutschland. Dass sie, wie sie mitteilen ließ, im Nobelpreis für sich nichts sehe, was „als Blume im Knopfloch für Österreich“ gelten könne, zeigt, dass sie in diesem Land, in dem sie noch immer lebt, keine Heimat findet, im Gegenteil, sie lebt dort in einem Material.

Obschon das Nobelpreiskomitee betont, dass man nicht berücksichtigt habe, dass Jelinek „eine Frau ist“, weiß Jelinek, dass ihr der Preis in den Augen der Öffentlichkeit als solcher verliehen wird. Sie wird weiter gegen diese Öffentlichkeit anschreiben müssen, obschon immer sichtbarer wird, dass sie weiß, dass sich diese nicht durch ihre Werke ändern werden wird. Dennoch kämpft sie.