: Einig Eiland hoch im Norden
Auf der Prominenten-Insel Sylt wird die Fusion der Dörfer zu einer Stadt heftig debattiert. Vertrauliches Gutachten zur Verwaltungsreform wird heute Abend vorgestellt. Entscheidungen sollen in einer inselweiten Bürgerbefragung fallen
von SVEN-MICHAEL VEIT
Es wird voll werden heute Abend in der Norddörferhalle in Wenningstedt, und möglicherweise auch laut. Die einschneidenste Strukturreform in der Geschichte der Insel Sylt steht zur Debatte, wenn das Gutachten der Kommunalen Wirtschaftsberatungsgesellschaft „Wibera“ öffentlich vorgestellt wird. Bisher kennen nur die KommunalpolitikerInnen der Prominenten-Insel im hohen Norden die 250 Seiten dicke Expertise. Durchgesickert ist jedoch, dass die Gutachter von fünf Varianten eine bevorzugen: Die „Vollfusion“ aller Kommunen zur Stadt Sylt.
Das sei „ein sensibles Thema“, weiß Helge Jansen, Vorsteher des Amtsbezirks Landschaft Sylt. In etlichen Dörfern gebe es „die Sorge, ihre Individualität zu verlieren“, auch eine gewisse Angst „vor einer Dominanz“ der Inselhauptstadt Westerland. Die heutige Präsentation könne deshalb nur Auftakt sein für eine „umfassende Bürgerbeteiligung“.
Weniger diplomatisch äußert sich Edda Raspé: „Schluss mit den verkrusteten und veralteten politischen Strukturen“, fordert die Sprecherin einer Bürgerinitiative, deren Ziel „Sylt als Einheit“ ist. Sieben Bürgermeister und Touristikchefs, 118 Gemeindevertreter, über 400 Verwaltungsangestellte – da sei es kein Wunder, meint Raspé, „wenn niemand insular denkt und spricht“.
Die bundesweiten Debatten über „schlankere“ Verwaltungen und die katastrophale Lage kommunaler Finanzen werden nirgends so zielgerichtet geführt wie im hohen Norden Deutschlands. Geographische Gründe tragen dazu bei, dass vor allem auf den schleswig-holsteinischen Inseln das Thema Gemeindereform auf der Tagesordnung steht.
Sämtlich sind diese Inseln groß genug für Streitereien zwischen den Dörfern, aber zu klein, um als Flickenteppich überleben zu können. Die Ostseeinsel Fehmarn hat den Schritt bereits vollzogen: Aus dem „sechsten Kontinent“, wie die EinwohnerInnen ihr Eiland lange nannten, wurde vor zehn Monaten eine Kleinstadt (siehe Kasten).
Und jetzt Sylt, die zweitgrößte Insel Schleswig-Holsteins und größte deutsche Nordseeinsel. 21.000 Einwohner zählt der 38 Kilometer lange Strich im Wattenmeer, fast die Hälfte davon lebt in der Tourismushochburg Westerland. Die anderen 12.000 verteilen sich auf den Amtsbezirk Landschaft Sylt mit fünf Gemeinden und neun Dörfern. List wiederum, Deutschlands nördlichste Gemeinde, wird im nächsten Jahr ihre Selbstständigkeit aufgeben und sich in den Amtsbezirk eingliedern – wirklich unkompliziert wird dadurch jedoch nur wenig.
Auch Jansen findet, dass Verwaltungsstrukturen „und vor allem Entscheidungsprozesse wie die Bauplanung“ straffer geregelt werden könnten. „Aber überstülpen darf man nichts“, sagt er, wohl wissend um die Skepsis vor allem in den Prominentendörfern Wenningstedt und Kampen.
Dort, wo die Wichtigsten unter den VIPs und solche, die sich selbst gern zu den Schönen und Reichen zählen, ihre Landsitze haben oder zu sommerlichen Edel-Events einschweben, sind die Kassen nämlich besser gefüllt als bei den etwas ärmeren Nachbarn. „Wirklich überschuldet ist keine Gemeinde“, weiß Jansen, dennoch gebe es einen gewissen Futterneid. Hartnäckige Befürworter der Vollfusion sind denn auch in erster Linie die Inselmetropole Westerland sowie große Teile der Wirtschaft. Die Initiative von Raspé, der Goldschmiedin aus dem Dorf Morsum, besteht nicht zufällig hauptsächlich aus Selbständigen. Ein Bürgermeister, ein Inselparlament, eine zentrale Verwaltung seien erforderlich, so Raspé, „um die Interessen der Insel effektiv nach außen zu vertreten“.
In wenigen Monaten schon könnte sie ihrem Ziel näher gekommen sein. Ab Ende November bekommen alle Sylter ab 16 Jahren ganz bügernah einen Fragebogen zugeschickt, um ihre Ansichten über die Reform kundtun zu können. Danach wird in den Gemeinderäten diskutiert und abgestimmt. Der erste „Stimmungstest“, wie Jansen es nennt, aber findet heute Abend statt. Und nicht nur er geht davon aus, dass in der 500 Plätze bietenden Norddörferhalle „gut Stimmung“ sein wird.