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Archiv-Artikel

Eine Erzählhaltung namens Drastik

Krise und schlechte Stimmung im Land – aber werden zumindest die Filme besser? Hinweise darauf existieren. Bei den Hofer Filmtagen gab es Sexszenen zu sehen, die nicht zu unfreiwilliger Erbärmlichkeit neigen, und genau recherchierte Milieustudien

von MANFRED HERMES

Auch unfreiwillige Witze können in der Wiederholung reifen. Heinz Badewitz, der Leiter der Hofer Filmtage, ist ein Meister dieses Fachs, und er liebte es, die zwei Fernsehteams jeweils mit den Worten aus dem Kino zu scheuchen: „Die müssen ja auch von was leben.“ In dieser Aktion lag eine tiefere Wahrheit: Das kleine, traditionsreiche Festival des unabhängigen Films hat sich mit allem Nachdruck dem Kino als einem Kommunikationsraum verschrieben.

Die Stimmung hat sich nun auch hierzulande aus Gründen eingetrübt, die mit wirtschaftlichen und sozialen Engpässen zu tun haben. Till Endemanns „Mondlandung“ baut sich die Konfliktwelt zwar noch zwischen Drogenkrimininalität und bürgerlichen Werten auf, aber der Blick in Wohnheime und das Alltagsleben russlanddeutscher Aussiedler ist doch weit von der sozialen Kolportage entfernt. Dennoch wird an Themen wie Arbeits- bzw. Nicht-mal-mehr-Arbeitswelt hierzulande oft nur wenig Kreativität verschwendet. Da muss schon ein spanischer Film wie „Los lunes al sol/ Montags in der Sonne“ von Fernando Léon kommen, um zu zeigen, wie das geht. Léon beschreibt das Leben einer kleinen Gruppe älterer Arbeitsloser in einer humorvollen Lakonie, die nie stilistisch ist, sondern der steinernen Hoffnungslosigkeit ganz entspricht. Beim Versuch einer Kreditaufnahme fällt der Satz: „Glauben Sie, dass wir bescheuert sind, nur weil wir kein Geld haben?“

In Österreich sind bekanntlich auch schon junge Menschen ohne Hoffnung. Dafür wird man mit subtilem Humor entschädigt. In Ruth Maders „Struggle“ ist der Neoliberalismus eine Schreckensherrschaft, die sich über die Sprache, Produktionsverhältnisse und Verkehrsformen ausgebreitet hat. Eine polnische Saisonarbeiterin bleibt mit ihrer Tochter illegal im Land, und was sie dort erlebt, das wird nicht nur kühl, sondern schon brutal beschrieben. Hier ist jeder gesellschaftliche Sinn entwichen, dafür hält sich ein anderer Glaube: der Glaube an minimalistisch balancierte Bilder, deren Lakonie von Selbstgefälligkeit manchmal schwer zu unterscheiden ist.

Die besseren der pessimistischen Filme versuchen denn auch, Lücken zu definieren und Aufweichungsmotive zu entwickeln. Bevor sich „Schultze Gets the Blues“ von Michael Schorr zu sehr im Ossi-Mief der Frühverrentung einrichtet, eröffnet ihm ein im Radio gehörtes Cajun-Motiv das Tor zu einer neuen Welt. Der Miserabilismus von Barbara Alberts „Böse Zellen“ wird hingegegen durch ein feines Humornetz und eine chaostheoretische Spiritualität erhöht. In Alberts Sicht wäre es absurd, die Trostlosigkeit eines jugendlichen von dem eines erwachsenen Lebens zu unterscheiden. Jugendlich ist bei ihr eher die Erzählhaltung und der Sinn für Drastik. Der zeigt sich nicht zuletzt in den Sexszenen, die ja sonst zu unfreiwilliger Erbärmlichkeit neigen. Es ist ein glasklarer Blick – weiblich ist er durch die Identifitikation mit der auf dem Bauch liegenden nackten Frau –, der hier eine Art harter Neo-Erotik begründet.

„Kroko“, der erste Langfilm der dffb-Absolventin Sylke Enders, hebelt aber gewisse Annahmen über deutsche Gegenwartsfilme aus. Bevor es an die Milieuschilderung ging, hat sich Enders eingehend mit Sprache, Bekleidungsstilen und Interieurs beschäftigt. Schon das ist selten und im Ergebnis erstaunlich. Kroko ist eine blonde Eisqueen aus dem Wedding, die mit ihrer Arroganz und Schönheit zwar eine ganze Gang dominiert, emotional aber blockiert ist. Wegen eines Kleindelikts wird sie zu Tagessätzen in der Behinderten-Reha verurteilt, und so kommen zwei gegensätzliche Welten zusammen. Dieser Versuch, eine individuelle Starre in soziale Energie zu verwandeln, erinnert im besten Sinn an Defa-Filme.

Das Festival in Hof hat eine lange Geschichte, und manchmal wird sie durch den Besuch alter Recken beglaubigt. Werner Herzog zeigte seine Buddhismus-Doku „Rad der Welt“. Auch bei Ulli Lommel könnten Uraltverbindungen bestehen, tatsächlich war er zum ersten Mal in Hof. Der Anlass: eine Werkschau, die eine Hipster-Karriere der Siebziger zeigte. Lommel war durch Fassbinders Schatten gegangen, um sich in US-Horrorfilmen der B-Klasse zu vollenden. Dazwischen Punk und Warhol, auf dessen Sommerhaus in Montauk Lommel „Cocaine Cowboys“ drehte, einen angenehm sprunghaften Film mit Jack Palance und einem Andy Warhol, der Kokaindiebe enttarnt.

Es sind aber Filme wie „Osama“, in denen das Internationale der Internationalen Filmtage am ehesten zu sich kommt. Siddiq Barmaks Film geht ins Zentrum der Geschlechterpolitik, die den Westen an Afghanistan ja besonders interessiert. Vor dem Hintergrund des Arbeitsverbots allein stehender Frauen in der Talibanzeit hat eine Großmutter folgende Theorie: „Es gibt keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen.“ Durch kleine Veränderungen wird aus einem Mädchen ein Junge, der die Institutionen der Männerdominanz von innen kennen lernt. Events wie dieser machen aus dem Kino wirklich eine Schnittstelle, zu dem das Fernsehen tatsächlich keine Alternative sein kann.