: Rechtzeitig sparen oder länger arbeiten
Die britische Regierung legt einen Zwischenbericht zur Rentenreform vor. In der Kasse klafft bald ein großes Loch,wenn die Renten das heutige Niveau behalten sollen. Die Bürger sollen sich zusätzlich zur staatlichen Rente privat absichern
VON RALF SOTSCHECK
Die Briten sollen beizeiten Geld in die Rentenkasse einzahlen, wenn sie nicht bis ins hohe Alter arbeiten oder höhere Steuern zahlen wollen. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung, mit der die Londoner Regierung den ehemaligen Vorsitzenden des Verbands der britischen Industrie, Adair Turner, vor zwei Jahren beauftragt hatte.
Turner, der seinen Zwischenbericht gestern vorlegte, schätzt, dass es 57 Milliarden Pfund (85 Milliarden Euro) zusätzlich kosten werde, um den Arbeitnehmern, die zwischen 2025 und 2030 in Rente gehen, denselben Lebensstandard zu bieten wie den heutigen Rentnern. 17 Millionen Briten der geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge nähern sich in den nächsten zehn Jahren dem Rentenalter.
Aufgrund der stetig sinkenden Geburtenrate gibt es aber immer weniger Menschen, die genügend Steuern zahlen, um die Renten zu finanzieren. So müssten die Renten dann um 43 Prozent gekürzt oder die Beiträge um 76 Prozent erhöht werden, prophezeit Turner.
Turner empfiehlt nicht, wie er ursprünglich angedeutet hatte, dass die Staatsrente erst ab einem Alter von 70 Jahren ausgezahlt werden soll. Er weist aber darauf hin, dass die Hälfte aller Arbeitnehmer nicht mal bis zum 65. Lebensjahr arbeitet. Im Durchschnitt setzen sich die Briten mit 62 zur Ruhe. Das sei zu früh, meint er. Die Organisation „Help the Aged“ merkte dazu an, dass viele Arbeitgeber ihre Leute vorzeitig in Rente schickten und lieber Jüngere einstellten. Die Regierung hat deshalb ein Gesetz erlassen, das Diskriminierung aufgrund von Alter verbietet. Es tritt 2006 in Kraft.
In seiner Rede vor dem politischen Forschungsinstitut in London, wo Blair am Montag für eine dritte Amtszeit „ein Überwinden der Klassengesellschaft, bessere Möglichkeiten für alle und staatliche Dienstleistungen der Extraklasse“ versprach, kündigte er an, die Zahlungen bei Arbeitsunfähigkeit kürzen. Die Zahl der Arbeitsunfähigen ist deshalb so hoch, weil die Regierung während der Rezession in den siebziger und achtziger Jahren viele Arbeitslose einfach arbeitsunfähig geschrieben hat, damit sie aus der Arbeitslosenstatistik fielen. Das kostet die Steuerzahler jedes Jahr 13 Milliarden Pfund. Das eingesparte Geld will Blair für eine Erhöhung der Staatsrente verwenden.
Zur Zeit beträgt sie 79,60 Pfund für eine alleinstehende Person pro Woche. Das reicht nicht zum Leben, deshalb garantiert der Staat einen Zuschlag, um die Rente auf 105,45 Pfund zu bringen. Das ist nach Meinung der Politiker das Minimum, das der Mensch braucht. Um diejenigen zu belohnen, die in die Rentenkasse eingezahlt haben, wurde der „Sparzuschlag“ erfunden, der aber höchstens 15,51 Pfund pro Woche betragen darf. Darüber hinaus wird er mit einer Art Steuer belegt, die im günstigsten Fall bei 40 Prozent liegt, aber bis auf 91 Prozent ansteigen kann.
Das hört sich kompliziert an, und das ist es auch. Ein vereinfachtes Beispiel: Herr Smith ist mit 65 in Rente gegangen und bekommt die Grundrente sowie den garantierten Zuschlag von rund 25 Pfund, um ihn auf das Minimum zu bringen, wenn er nicht eingezahlt hätte. Da er aber in seinem Arbeitsleben 40.000 Pfund eingezahlt hat, stehen ihm 40 Pfund pro Woche zu. Dafür entfällt aber der garantierte Zuschlag. So bleiben ihm von seinen Einzahlungen nur 15 Pfund – das entspricht einem Zinssatz von minus acht Prozent.
Blair und die Gewerkschaften würden gerne eine Pflichtversicherung einführen. Richard Brooks von der Fabian Society, einer Organisation der Labour Party, hält das für Unfug. Es führe zu Lohnsenkungen und Unmut der Wähler. Stattdessen sollte der Staat lieber das staatliche Rentensystem reformieren, findet Brooks.
Die Einzahlungen in die Rentenkassen sind seit Labours Amtsantritt 1997 nicht gestiegen, sondern sogar gefallen. Frauen haben in vielen Fällen nicht die Möglichkeit, eine anständige Rente anzusparen, schreibt Turner. Er widmet diesem Thema in seinem Bericht ein ganzes Kapitel. Demnach geht es vielen alleinstehenden Frauen im Rentenalter meist schlechter als Männern, weil sie eine Babypause eingelegt haben und in diesen Jahren nicht einzahlen konnten.
Lösungen hat Turner bisher nicht anzubieten. Das will er im nächsten Jahr tun, wenn sein Abschlussbericht fällig ist – vorsichtshalber nach den Wahlen.