: Magisches Erzählen
Die hohe Kunst der Lakonie: Er habe einmal eine Zahlentabelle entworfen, mit der er auch gelegentlich komponiere, sagt Robert Ashley. Die MaerzMusik ehrte am Wochenende den nordamerikanischen Klangpionier
VON BJÖRN GOTTSTEIN
Man könnte die Kunst des Robert Ashley vielleicht so zusammenfassen: Erhöhe deine Sprechstimme künstlich; verleihe ihr einen abgehobenen und affektiert Klang. Spreche mit Verzögerungen und Pausen, indem du unerwartet innehältst. Suche die Nähe zum Mikrofon, um die Nebengeräusche und Zwischenlaute der Stimme zu exponieren.
In den 70er-Jahren hatte der französische Philosoph Roland Barthes die „Körnigkeit der Stimme“ beschrieben und vom Interpreten gefordert, dass er seinen Körper in den Gesang hineinlege. Rückblickend wirkt es fast so, als habe Robert Ashely damals ein ähnliches Bedürfnis empfunden, dies aber nicht theoretisch, sondern musikalisch artikuliert. Mit seinem Stück „Automatic Writing“ erweiterte Ashley 1979 die Möglichkeiten des verbalen Vortrags, als er sich in einem Augenblick impulsiven, unkontrollierten Sprechens selbst aufnahm und das unverständlich Fehlerhafte des sich ergießenden Denkens zur ästhetischen Haltung erhob.
Die Stimme steht seither im Zentrum seiner Arbeit. Ashley unterscheidet sich von anderen experimentellen Musikern seiner Generation vor allem durch seinen charismatischen, ja auratischen Vortrag. Auch am Sonntag saß Ashley als Sprecher auf der Bühne, als die MaerzMusik dem nordamerikanischen Komponisten einen ganzen Konzerttag widmete. Gemeinsam mit dem Ensemble MAE aus Amsterdam stellte er eine Reihe jüngerer Werke vor. In „Hidden Similarities“ ist es eine zwischen dramatischen Höhepunkten und Nebensächlichkeiten changierende Biografie. Die Instrumentalisten selbst erzählen diese Geschichte, auf Niederländisch, und kommentieren die Ereignisse musikalisch mit wenigen Figuren und Motiven. Die hohe Kunst der Lakonie: sparsam, sachlich und kalt.
Nicht jeder hält Robert Ashley für einen großen Komponisten. Da sind vor allem die hohen Herren von der Akademie, die glauben, dass das musikalische Material seinen Sinn erst erhält, wenn es verformt, fragmentiert und zersetzt wird. Wer es, wie Ashley, ausstellt, ohne es anzutasten, verweigere sich dem Diskurs der Töne. Tatsächlich wird, wer Systeme und solides kompositorisches Handwerk sucht, bei Ashley enttäuscht. Er habe einmal eine Zahlentabelle entworfen, mit der er auch gelegentlich komponiere, merkt er an, aber er verwende sie nicht gerne: „weil es kompliziert und schwierig ist“.
Das musikalische Denken des 1930 in Michigan geborenen Komponisten lässt sich schlecht mit den rigorosen Vorstellungen der europäischen Avantgarde zusammenbringen. Man darf nicht vergessen, dass sich die Generation amerikanischer Mavericks nach Cage nicht mehr am Erbe der bürgerlichen Hochkultur abzuarbeiten genötigt sah. Und während Cages Musik sich immer als Antithese zur europäischen Avantgarde behaupten musste, gehen seine Nachfolger, Komponisten wie David Behrman, Gordon Mumma, Alvin Lucier und eben Robert Ashley unbefangener mit dem Klang um.
Deutlich wird das vor allem in der Video-Oper „Perfect Lives“, die Ashley Ende der 70er-Jahre realisierte und die ebenfalls am Sonntag im Rahmen der MaerzMusik zu sehen waren. Es sind Klischees und Beiläufigkeiten, die Ashley zu einem zeitlich aufgelösten Tableau zusammenstellt: Perlende Klavierkaskaden im Stile Liberaces treffen auf Betrachtungen zur existenziellen Bedeutung des Supermarkts an und für sich, inszeniert mit dem Glamour des Camp.
„Perfect Lives“ ist ein magischer Moment modernen Erzählens. Als „television opera“ ist das Stück typisch für Ashleys Umgang mit der Tradition. Natürlich hat es auch etwas mit Produktionskosten und institutioneller Unabhängigkeit zu tun. Aber die Idee, das Massenmedium Fernsehen für das Musiktheater zu nutzen, war auch ein Affront gegen die geweihten Stätten der Hochkultur. Die Arbeit mit tonalen Elementen, mit Beats und Wiederholungen, mit sprachlichen Alltäglichkeiten – all das hat viel mit der Gegenwart und wenig mit Historie zu tun.
Deutlich wurde aber auch, dass Ashley gealtert ist. Das gilt weniger für die Stücke selbst als für die Dynamik und Modulationsmöglichkeiten seiner Stimme. Die müde Unbeweglichkeit verleiht den Texten etwas Schweres und ungewollt Bedeutsames. Ashley und das Ensemble wirken steif und bisweilen befangen. Am Ende konnte nur das eher unscheinbare Quartett „in memoriam ESTEBAN GOMEZ“ wirklich überzeugen. Ashley orientiert sich an den geografischen Erkundungen der frühen USA und findet eine gelassene, harmonisch gesottene Klangsprache, die MAE mit Keyboard, Kontrabass, Blockflöte und Posaune zum Leuchten bringt.
Ein Augenblick, in dem die Unsicherheit, die den Konzertabend zu lähmen schien, einen Sinn erhielt und Ashley jenseits seiner stimmlichen Begabung auch als großer Komponist kenntlich wurde.