: „Die Medien sind für uns da“
Ein Gespräch mit Helke Sander über die Schwierigkeiten, als Frau „Frauen“-Filme zu machen, und über Feminismus im Wandel der Zeiten. Das Kino Arsenal widmet Sanders zurzeit eine Retrospektive
Interview SANDRA LÖHR
taz: Frau Sander, wenn Sie Ihre Filme aus den Sechziger- und Siebzigerjahren auf der Leinwand vor sich haben: Sehen Sie heute Ihre eigenen Arbeiten anders?
Helke Sander: Ja, natürlich, so was verändert sich ja im Laufe der Zeit. Man hat da so einen Blick drauf, dass man sie sich wieder als etwas Fremdes angucken kann. Als ich in den Sechzigerjahren anfing, hier in Berlin Filme zu machen, bin ich ja in diese ganze Studentenbewegung hineingekommen, was mich sehr befruchtet und beflügelt hat. Man entdeckt noch einmal, worüber man damals so nachgedacht hat und immer noch nachdenkt: also die Position von Frauen und Kindern und das Thema Gewalt.
Wie war das damals, als Frau „Frauen“-Filme zu machen?
Schwierig! Damals gab es ja keine Frauen, die in Jurys, Gremien oder auf den entscheidenden Positionen in den Fernsehanstalten saßen. Und wenn man dann das Feminismus-Ettikett aufgeklebt bekommen hat, dann war das für das eigene Arbeiten sehr schwierig. Das hat wie ein Berufsverbot gewirkt. Das kann man sich eigentlich gar nicht hart genug vorstellen, wie das damals war.
Aber Sie haben es geschafft.
Ja, weil ich zäh bin! Ich habe ja auch nie zum Wehklagen aufgerufen, weil ich immer der Meinung war, dass Frauen als intelligente Menschen eben ihren Ton auf der Erde singen sollen.
Viele Frauen in Deutschland entscheiden sich heute gegen Kinder, weil der Spagat zwischen Beruf und Familie in kaum einem anderen europäischen Land so schwierig ist. Gleichzeitig schreien alle auf wegen des drohenden Rentendesasters, das sich daraus ergibt. Gibt es da bei Ihnen jetzt nicht so eine klitzekleine Genugtuung darüber, weil Sie das in Ihren Arbeiten schon immer thematisiert und mehr Unterstützung für Frauen und Kinder gefordert haben?
Genugtuung ja, die macht aber keinen Spaß. Jetzt wird es eben offenbar, dass das nie ein Frauenproblem war, wie es immer hieß, sondern immer schon ein gesellschaftliches Problem. Heute ist es eben so, dass junge Frauen nicht mehr so schnell und überraschend Kinder kriegen, sondern weil sie wissen, wie schwierig das ist. Und so gerät das Kinderkriegen völlig in den Hintergrund.
Die Situation der Frauen hat sich also nicht wirklich verbessert, nur tritt das nicht so in Erscheinung. Früher waren die Probleme viel greifbarer. Die Frauen haben einfach mehr Kinder bekommen, auch wenn sie vielleicht gar nicht wollten. Es gab mehr Abtreibungen, und das war auch alles viel scheußlicher als heute. Heute sind die Probleme eher nach innen gewendet. Die einzelnen Frauen reden nicht mehr so viel darüber.
Vielleicht weil es ja heute auch ein bisschen verpönt ist, sich als Feministin zu outen?
Ja, genau, heute brauchen jüngere Frauen ja richtig Mut, um zu sagen: Ich bin eine Feministin, weil es so megaout ist. Ich glaube aber, dass die Frauenbewegung nach wie vor notwendig ist. Ich kann allerdings auch gut verstehen, dass viele junge Frauen damit nichts mehr zu tun haben wollen. Genau wie wir damals auch nichts mit den Suffragetten zu tun haben wollten. Da wird in der Öffentlichkeit sehr oft ein verzerrtes und lächerliches Bild wiedergegeben und das Ganze auf die lila Latzhose reduziert, obwohl es weit mehr als das war. Und vor der lila Latzhose wäre ich als junge Frau auch schreiend weggelaufen!
Ist es in Ihren Augen eigentlich schwerer oder leichter geworden, heute als Frau Filme zu machen?
Einerseits leichter, weil es ja jetzt viel mehr Frauen gibt, die das machen. Andererseits schwerer, weil alles immer stärker ökonomischen Zwängen unterworfen ist. Wir hatten damals noch mehr die Vorstellung individuellen Künstlertums. Und wir hatten auch die Vorstellung, dass die Medien für uns da sind und nicht wir für die Medien. Wir wollten damals nicht unbedingt im Mainstream berühmt werden. Heute reißen sich die Leute darum, einen „Tatort“ zu machen. Was haben wir früher darüber gelacht! Wir wollten doch keinen „Tatort“ machen, geschweige denn irgendwelche Serien! Wir wären lieber putzen gegangen, als Serien zu machen.
Heute ist das aber etwas durchaus Legitimes, das muss ja auch nicht falsch sein, die Leute müssen ihr Geld verdienen. Wenn das aber dabei bleibt, wird es schwierig. Dann ist man in dieser so genannten Bewusstseinsindustrie beschäftigt – als ein Arbeiter unter vielen.
Heute ist es komplizierter geworden, überhaupt in die Nähe von den Leuten und den Entscheidern zu kommen, die solche Projekte fördern könnten, weil die auch wieder in diesen ganzen ökonomischen Zwängen und den Vorgaben dieser Programmschemata drinstecken. Gleichzeitig würde heute aber auch keiner dieser Verantwortlichen mehr sagen: Sie können dieses Projekt nicht machen, weil sie eine Frau sind. Trotzdem: Das Ergebnis ist oft dasselbe. Deswegen gucke ich mir auch fast lieber die Waschmaschine an, wie sie sich dreht, als die Programme im Fernsehen.
Das Kino Arsenal (Potsdamer Str. 2, Tiergarten) zeigt eine große Helke-Sander-Retrospektive, bis 16. November, Termine siehe Programm