: Erinnerung
Das Übersee „kehrt vor der eigenen Haustür“
Hundert Jahre sind seit dem Völkermord an dem Stamm der Herero in Namibia vergangen. Das Nomadenvolk wurde damals von deutschen Truppen brutal vertrieben. In der Wüste Omaheke und anschließend in Konzentrationslagern zusammengepfercht, kamen fast achtzig Prozent – rund achtzigtausend Herero – ums Leben.
Herzstück der darin erinnernden Ausstellung, die heute im Übersee-Museum eröffnet, sind fünfunddreißig Grafiken von verschiedenen namibischen Künstlern. Die oftmals bunten Werke erzählen in grafischen Mustern von der Kultur Namibias und ihren Bewohnern. Laut Silke Seybold, Kustodin, „sind die Traumata nicht verarbeitet – die Kolonisation, der Völkermord an den Herero und die folgende Apartheid sind prägend für Namibia.“
Als der Krieg 1904 im so genannten Deutsch-Südwestafrika ausbrach, schlug das auch bei den Bremern große Wellen. Die Hafenstadt fühlte sich mit ihren Kaufleuten, die in die Kolonien ausgewandert waren, emotional verbunden. Und das damalige Handelsmuseum begann schon drei Monate nach Kriegsbeginn, Herero-Objekte zu sammeln.
Kürzlich ist Seybold nach Namibia gereist, um Spuren des Genozids zu suchen, der offiziell als solcher immer noch nicht anerkannt ist. Die kleine Gedenk-Ecke, die die Museumsfrau nun eingerichtet hat, beschränkt sich auf wenige ausgesuchte Objekte, Fotos und Texte – die im Vergleich mit der leer geräumten neuen Ozeanienausstellung eine schon fast schon ausladende Länge haben.
Schräg gegenüber: Die heutige namibische Kunst, eine notwendige Ergänzung der historischen Opferperspektive. Die ausdrucksstarken Grafiken sprechen mit ihren lebendigen Farben von Hoffnung: „Kunst wird hier zum Medium der Vergangenheitsverarbeitung“, sagt Seybold – und die Künstler zu wahrnehmbaren, uns aktuell gegen übertretenden Subjekten.
Das Übersee-Museum stellte 1911 eine Plastik auf, die eine traditionelle Hütte mit zwei Stammesmitgliedern zeigte. Die Hütte blieb bis Ende der siebziger Jahre in der Ausstellung, was „den Touch einer gefrorenen Völkerschau hatte“, wie Seybold sagt – durch den Krieg waren die traditionellen Strukturen der Herero größtenteils vernichtet worden. Einunddreißig Jahre lang war Namibia deutsche Kolonie, der Völkermord aber ist bis heute nicht ins Bewusstsein der Deutschen gedrungen – das soll diese Ausstellungskonzeption ändern.
Sandra Flachmann