Der Rhythmus macht‘s

Sechs Kitas haben ein neues Programm getestet, um Kindern Deutsch beizubringen. Die Ergebnisse sind beeindruckend. Praktisch für die öffentlichen Kassen: Mehr Erzieherinnen sind dafür nicht nötig

VON SABINE AM ORDE

Während im Hause von Bildungssenator Klaus Böger (SPD) an der Verteilung so genannter Sprachlernkoffer für die hiesigen Kindertagesstätten gearbeitet wird, gehen zwei Bezirke in die Offensive. Tempelhof-Schöneberg und Spandau stellten gestern die Ergebnisse eines Modellprojekts zur Sprachförderung in Kitas vor und kündigten an, dies in ihren Bezirken in allen Einrichtungen einführen zu wollen. Das Programm hat zwei große Vorteile: „Es ist kostengünstig und zeigt in sehr kurzer Zeit phänomenale Ergebnisse“, sagte Elisabeth Ziemer (Grüne), eine der zuständigen Stadträtinnen in Tempelhof-Schöneberg. „Und es beruht, anders als andere Ansätze in Berlin, erstmals auf wissenschaftlichen Grundlagen.“ Ziemer und ihre Kolleginnen fordern, dass dieses Programm berlinweit eingesetzt wird.

Eine gezielte Sprachförderung ist dringend notwendig, das haben zahlreiche Untersuchungen wie die Sprachstandserhebung „Bärenstark“ gezeigt: Danach spricht fast die Hälfte der Berliner Vorschulkinder so schlecht Deutsch, dass sie Förderung benötigen. Bei den Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache sind es sogar 80 Prozent.

Das Programm, das der Schweizer Sprachwissenschaftler Zvi Penner gemeinsam mit der Charité und der Uni Potsdam entwickelt hat, richtet sich gleichermaßen an Kinder deutscher und nichtdeutscher Muttersprache, die Sprachentwicklungsstörungen haben. Es ist fünf Monate lang in sechs Berliner Kitas und auch in Einrichtungen in Offenbach und Ravensburg erprobt worden. Die Kitas in Spandau und Schöneberg Nord haben alle einen Migrantenanteil von rund 90 Prozent. Die insgesamt 600 Kinder, meist Vierjährige, wurden zu Beginn des Programms und nach Ablauf der fünf Monate unter anderem darin getestet, wie gut sie den Plural bilden, Fragen verstehen und Artikel anwenden können. Aus Sicht von Penner sind das Schlüsselqualifikationen beim Spracherwerb. Die Ergebnisse für die Kinder nichtdeutscher Muttersprache: Sie bildeten zu Beginn des Programms durchschnittlich zu 36 Prozent den Plural richtig, danach waren es 65 Prozent. Beim Frageverständnis stieg die Erfolgsquote von 82 auf 92 Prozent, bei der Artikelverwendung von 43 auf 54 Prozent. Bei einer Vergleichsgruppe, die aus Kindern mit ähnlicher sozialer Herkunft zusammengesetzt war, die aber nicht speziell gefördert wurden, war der Lernerfolg im selben Zeitraum bei der Pluralbildung weitaus niedriger. Viel schlimmer noch: Beim Frageverständnis und bei der Artikelverwendung verschlechterte sich das Ergebnis sogar. „Der Spracherwerb erfolgt eben nicht gradlinig“, so Penner.

Die Kinder wurden in Kleingruppen von maximal acht jeden Tag eine Viertelstunde lang sprachlich gefördert. Mit Hilfe von speziell entwickelten Memorykarten, aber auch mit Computerspielen wird ihnen zunächst spielerisch der Wortrhythmus beigebracht. „Wenn man den Rhythmus raushat, weiß man, wie man mit den Worten umgehen muss – zum Beispiel bei Verkleinerungen oder der Pluralbildung“, erläuterte Petra Regulin, eine der beteiligten Erzieherinnen. Das passiere dann quasi automatisch. Wichtig dabei sei, dass man die Kinder nicht korrigiere, sondern den Spaß am Sprechen und am Spiel mit der Sprache fördere. Später geht es um Satzstruktur und Artikel, dann kommt die Grammatik hinzu – gelernt wird durch Wiederholung, ganz ohne Pauken.

Das Gute dabei aus Sicht des finanzschwachen Berlins: Weil sich die gezielte Förderung auf eine Viertelstunde konzentriert, kann die zweite Erzieherin in dieser Zeit den Rest der Gruppe übernehmen. Zusätzliches Personal ist also nicht nötig, das hält die Kosten niedrig. Bleiben das Material, das pro Baukasten 300 Euro kostet, eine 12-stündige Fortbildung der Erzieherinnen und die Coaches, die die Kitas regelmäßig beraten.

Das Projekt, an dem neben den Bezirksämtern und den Kitas auch die Krankenkasse AOK und der Landessportbund beteiligt sind, geht auf die Initiative von Berliner Kinderärzten zurück. Diese haben festgestellt, dass ihre Praxen zunehmend mit Kindern überfüllt sind, die nicht ärztlich, sondern pädagogisch behandelt werden müssen. „In Berlin erhält fast jedes dritte Kind eine Entwicklungstherapie wie Logopädie“, kritisiert Ulrich Fegeler, Sprecher des Verbands der niedergelassenen Kinderärzte. Das sei teuer und nütze meist nicht. Stattdessen müsste die Entwicklung der Kinder angeregt werden. Ergebnis ist das Kitamodellprojekt, das neben der Sprache auch die Motorik der Kinder fördern soll. Der zweite Projektteil ist aber noch nicht ausgewertet.