Struck verirrt sich im Irak

Der Verteidigungsminister denkt laut über Bundeswehrsoldaten im Irak nach – aber wusste er, was er tat? Der Kanzler gelobt eilig: Es bleibt beim Nein zu einem Einsatz

BERLIN taz ■ Missverständliche Äußerung eines Ministers oder Kehrtwende in der Irakpolitik der Bundesregierung? Diese Frage beschäftigte gestern für einen halben Tag das politische Berlin. „Ich schließe den Einsatz deutscher Soldaten im Irak jetzt aus“, hatte Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) der Financial Times Deutschland gesagt, „aber generell wird keiner die Entwicklung im Land so vorhersehen können, dass er verbindliche Aussagen machen kann.“ Erstmals dachte damit ein Großkopfeter der Koalition laut über einen Bundeswehreinsatz im Irak nach – und darin eine Abkehr vom strikten Nein aus Wahlkampfzeiten zu vermuten, war so abwegig nicht. Schließlich leitet die rot-grüne Regierung Kurswechsel bei der Sicherheits- oder auch Rüstungsexportpolitik gerne mit Halbsätzen ein.

Für die Opposition heizte der verteidigungspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion Christian Schmidt (CSU) die Spekulationen an: „In der Irakfrage wird jetzt offensichtlich der Verteidigungsminister vorgeschickt, um langsam eine Kehrtwende in der Regierungspolitik vorzubereiten und die deutsche Politik auf einen möglichen Wahlsieg des Bush-Herausforderers John Kerry einzustimmen.“ Schmidts Mutmaßung: Einem möglichen US-Präsidenten Kerry wolle Rot-Grün Unterstützung in der Krisenregion nicht verwehren.

Doch der CSU-Mann lag offenbar falsch. Die Reaktion des Regierungslagers auf Struck fiel so einhellig und kategorisch aus, dass der Minister jetzt als Irrläufer dasteht. SPD-Fraktionsvize Gernot Erler, der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold, die grüne Fraktionssprecherin Katrin Göring-Eckardt und, gegen Mittwochmittag, dann auch Regierungssprecher Thomas Steg widersprachen Struck. „Es wird keine deutschen Soldaten im Irak geben“, sagte Steg nach der Kabinettssitzung. Diese Position „hat heute Bestand, und sie gilt für die Zukunft“.

Struck sieht das angeblich genauso, jedenfalls, so sagen Schröders Mannen, habe er das seinem Chef am Telefon versichert. Der Minister war gestern bei einem Nato-Treffen in Rumänien. Offen bleibt zunächst, ob Struck nur schludrig formulierte oder einen kurzen Alleingang in die Außenpolitik wagte. Koalitionspolitiker tippten gestern eher auf Fahrlässigkeit als Kalkül. Für den Verteidigungsminister ist auch diese Diagnose gefährlich, denn seit Informationspannen beim Kosovo-Einsatz der Bundeswehr gilt er als politisch angeschlagen.

Schröder erklärte nun im Kabinett nach Angaben von Teilnehmern: „Niemand in der Bundesregierung denkt daran, die Irakposition zu ändern.“ Reiner Zufall war wohl, dass Schröders Formulierung an einen der berühmtesten Sätze der deutschen Nachkriegsgeschichte erinnerte. „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen“, verkündete Walter Ulbricht 1961 – kurz bevor der Mauerbau begann. PAT