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Archiv-Artikel

Schule wehrt sich gegen Schüler

Sie schrien zum Fenster herein, als wollten sie das, was man drinnen über sie erzählte, eindrucksvoll bestätigen Sie kennen seinen Namen und seine Adresse. Eigentlich wäre es an der Zeit, Angst zu bekommen

AUS VERDEN JOHANNES GERNERT

Wenn Sascha Schüler am 21. April mit seinen Kameraden nicht zum Hotel Niedersachsenhof gekommen wäre, dann hätte Fabian Lohmann jetzt vermutlich mehr Zeit, um sich auf sein Abitur vorzubereiten. Aber Schüler und Konsorten waren da, standen mit Transparenten vor der Tür und brüllten in ein Megafon, dass nicht nur Juden krumme Beine haben, sondern auch Gewerkschaftsschweine und dass Verdens Pädagogen rot sind und verlogen.

Fabian Lohmann hätte auch ohne dieses Gebrüll von draußen erfahren, dass die Jungen Nationaldemokraten (JN) im Landkreis Verden eine Schuloffensive gestartet haben. Dass sie das Dreieck Achim/Rotenburg/Verden nahe Bremen zu ihrem Stützpunkt machen wollen. Dass sie nationalistische Schülerzeitungen verteilen und Flugblätter. Fabian Lohmann war auf diese Veranstaltung der Lehrergewerkschaft GEW gekommen, um sich genau darüber einen Vortrag anzuhören. Er hätte es also sowieso erfahren. Aber es wäre irgendwie weiter weg gewesen, nicht direkt vor der Tür, nicht so drängend.

Fabian Lohmann hätte Sascha Schüler, den Stützpunktleiter der JN, und einige andere nur als Gesichter auf Fotos gesehen. Aber nun drängten diese Gesichter von außen gegen den verrammelten Eingang. Sie schrien zum Fenster herein, als wollten sie das, was man drinnen über sie erzählte, eindrucksvoll bestätigen. Sie waren an diesem 21. April eine sehr präsente, äußerst greifbare Gefahr. Und Fabian Lohmann beschloss, etwas zu unternehmen.

Er suchte im Internet nach Aktionen gegen rechts. Er fand das bundesweite Projekt „Schule ohne Rassismus“. Die Idee gefiel ihm. Man musste den fremdenfeindlichen Flugblättern und Slogans etwas entgegensetzen. Das Verdener Gymnasium am Wall, an dem Fabian Lohmann Schülersprecher ist, sollte zur Schule ohne Rassismus werden. Er sprach mit anderen Schülern. Sie gründeten eine Arbeitsgemeinschaft, planten erste Aktionen.

Fabian Lohmann schrieb vierzehn Briefe an alle anderen Schulen im Landkreis, mailte und faxte. Er hat eine einzige Antwort bekommen von einer Schülervertreterin an einem Berufsbildungszentrum. Das sei eine tolle Sache und sie würde ihn gerne unterstützen, leider habe sie aber im Augenblick keine Zeit.

Nun ist es aber leider so, dass Verden nicht nur dafür bekannt ist, dass die Globalisierungskritiker von Attac hier ihren Hauptsitz haben. Auch die rechte Bewegung treibt hier seit Jahren ihr Unwesen. Erst kürzlich hat der als Rechtsextremist bekannte Anwalt Wolfgang Rieger in der Nachbarschaft ein Gut gekauft, und es gibt die Befürchtung, dass dort ein Zentrum rechtsradikaler Aktivitäten entstehe. Rechtsextremismus ist eben kein reines Ost-Problem.

Und trotzdem ist es fast ein bisschen seltsam, dass sich ausgerechnet das Gymnasium am Wall zur rassismusfreien Zone erklärt. Die Jungen Nationaldemokraten haben ihre Flugblätter flächendeckend verteilt, sie haben kaum eine Schule im Kreis Verden ausgelassen. Nur vor dem Schulgebäude am Nikolaiwall standen sie nie.

An der Achimer Hauptschule waren sie früh dran. Morgens gegen sieben erfuhr Horst Dethlefs davon, dass vier Neonazis an der Bushaltestelle „Heftchen verteilen“. Der Rektor hatte damit gerechnet. „Achim stand noch aus als Auftrittsort“, sagt er. Vor ihm liegt eine hellbraune Mappe, auf die er in Druckbuchstaben „Neonazis“ geschrieben hat. In dem Hefter stecken JN-Flugblätter und Antifa-Flyer. Es sind einige solcher Mappen angelegt worden im Kreis Verden in den vergangenen Monaten. Dethlefs zieht eine Skizze aus dem Stapel. Er hat alles notiert, was ihm die Schüler berichteten, die dabei waren, bei diesem einen von zwei Neonazi-Auftritten vor seiner Schule. Horst Dethlefs sagt: „Also ich kenne die Geschichte so.“

Sascha Schüler steht mit drei anderen am Buswendeplatz und teilt den „Rebell“ aus. Schüler ist nicht nur JN-Stützpunktleiter, er ist auch verantwortlich für „die einzige nationalistische Jugendzeitung aus den Kreisen Rotenburg und Verden“, die unter anderem getrennte Klassen für Deutsche und Ausländer fordert. Eine ausländische Schülerin zerreißt das Heft, als er es ihr in die Hand drückt. „Er haut ihr auf den Po“, erzählt Dethlefs, „da hat sie ihm eine gescheuert.“ Eine Kameradin des Stützpunktleiters kommt dazu. Es gibt eine Rangelei. Auf der Skizze des Rektors steht: „Nazi-Mädchen liegt am Boden.“

Als die Polizei eintrifft, zeigt Schüler den Rektor und einige andere an. Er zetert, Dethlefs habe die Jugendlichen aufgehetzt. „Es gab keine Situation, in der das nur annähernd so hätte interpretiert werden können“, sagt der Rektor. Schüler sei der Polizei gegenüber routiniert aufgetreten. Wie einer, „der sich über die rechtlichen Rahmenbedingungen sehr im Klaren ist“. Dann hat auch Dethlefs begonnen, sich zu informieren. Wo dürfen die stehen? Was dürfen die verteilen?

Er weiß da noch nicht, wie dieser kleine junge Mann mit der Schirmmütze und der schwarzen Kleidung heißt, der die ganze Zeit auch für alle anderen redet. Er will ihn fotografieren, um herauszufinden, wer das ist. Als er die Kamera ansetzt, sagt Schüler sehr bestimmt, dass es verboten sei, Fotos von ihm zu machen. „Da war ich etwas verunsichert“, sagt Dethlefs. Am Ende verkündet Schüler, dass sie wiederkommen werden. Wenn sie noch einmal aufgetaucht wären, hätte es wohl „geknallt“, befürchtet Dethlefs. Die „ausländischen Schüler“ seien beim ersten Mal schon sehr aggressiv gewesen.

Also hat der Rektor der Hauptschule versucht der JN-Propaganda friedlich zu begegnen. Ironisch. „Die Nazis haben uns furchtbar lieb“, titelte eine Ausgabe der Schülerzeitung. Deshalb besuchen sie uns so oft. „Man muss einen Geist in der Schule schaffen nach dem Motto: Ihr seid bescheuert, macht euch vom Acker“, sagt Dethlefs. Bisher hat sich niemand mehr gezeigt. Stattdessen wurden auf dem Schulgelände Parolen gesprüht wie „Es lebe Deutschland“, „SS/SA“, „NPD Achim“, „Gegen Türken“. Dethlefs hat sie abgetippt. Der Zettel steckt auch in seiner hellbraunen Mappe.

Es bleibt nicht bei Sprüchen. Wenn Fabian Lohmann und die anderen aus der Arbeitsgemeinschaft am Verdener Gymnasium sich treffen, weiß jeder eine Geschichte zu erzählen. Von Antifa-Aktivisten, deren Autos von der Straße abgedrängt werden. Von Punks, denen Neonazis mit dem Zimmermannshammer auf den Schädel schlagen. „Mit der Spitze“, sagt einer. Die anderen verziehen die Gesichter.

Seit dem Beginn des Schuljahrs ist die AG gewachsen. Sie waren mal zu zehnt, jetzt sind sie über zwanzig. Sie wollen einen Projekttag vorbereiten, an dem das Prädikat „Schule ohne Rassismus“ offiziell verliehen wird. Vor den Ferien haben sie in den Klassen Filme gezeigt und von der Aktion erzählt. Manchmal haben die Mitschüler am Ende spontan geklatscht. Sie sind nun mehr als vor den großen Ferien.

Damals wurden Unterschriften gesammelt. Mehr als 70 Prozent aller Schüler, Lehrer und Angestellten müssen sich zu einigen antirassistischen Grundsätzen bekennen, so verlangt es das Projekt. 80 Prozent haben das schließlich getan. „Es gab aber auch Leute, die den Zettel einfach weitergeschoben haben“, sagt Fabian Lohmann. Von den Lehrern hat nicht mal jeder zweite unterschrieben. Aber der Direktor sagt, man habe nach den Listen geradezu suchen müssen. Herr Schröter, der Geschichtslehrer, brummelt, dass er das als Entschuldigung so nicht akzeptiere. Beide sagen dann, dass das jetzt alles aber auch nicht so wichtig sei.

Herr Schröter engagiert sich im Verdener Bündnis für Demokratie und Toleranz und ist außerdem „der idealistischen Auffassung, dass man aus Geschichte lernen kann“. In seinem Unterricht beschäftigt er sich auch aktuellen Themen, auch mit Rechtsextremismus. Einige Schüler aus der AG machen bei ihm Abitur. Herr Schröter sagt, dass die Abiturthemen, die der neue niedersächsische Lehrplan vorschreibt, nicht gerade hilfreich sind, die Schüler für antirassistische Projekte zu mobilisieren, weil die NS-Zeit gar nicht vorkommt.

Die Schulbehörde hat auf ihre Art auf die nationalistische Offensive reagiert. Schon vor den Sommerferien fingen Polizei und Verfassungsschutz an, mit Informationsveranstaltungen die Schulen im Landkreis zu bereisen.

Fabian Lohmann wohnt in Dörverden, dem Nachbarort von Verden, dem Ort, in dem der Nazi-Anwalt Rieger dieses Anwesen gekauft hat, über das man wenig weiß und viel gemunkelt wird. Darum beteiligt er sich nun auch am Aufbau eines antifaschistischen Bündnisses in Dörverden. Sogar der Bürgermeister ist jetzt aufgewacht. Vorige Woche hat er vor dem Schulzentrum Flugblätter verteilt: „Dörverden weht sich gegen Radikalismus und Gewalt.“ Es ist ein Anfang. Es sieht so aus, als würde jetzt etwas passieren.

Vor kurzem hat Fabian Lohmann gehört, dass die Neonazis seinen Namen und seine Adresse herausgefunden haben. Dass sie wissen, dass er dafür verantwortlich ist, dass das Gymnasium von Verden zur Schule ohne Rassismus wird und dass es eine Zeitung geben soll über die JN-Aktivitäten. Es wäre eigentlich an der Zeit, ein bisschen Angst zu bekommen. Aber Fabian Lohmann weiß seit jenem 21. April, dass man etwas tun muss. Er wusste es schon, als die Neonazis draußen schrien, nicht erst als die Polizei sie schließlich festnahm und die Axtstiele, die Metallrohre, die Baseballschläger und die Reizgasdosen beschlagnahmte. Er tut jetzt etwas.