: Stadt will ihre Schulkinder abschieben
Seit 25 Jahren lebt die Familie Horuz in Köln. Ihre Kinder sind hier geboren und aufgewachsen. Jetzt sollen sie abgeschoben werden, weil der Vater arbeitslos ist. Dabei liegt das weniger an ihm, als daran, dass man ihm die Arbeitserlaubnis verweigert
Von Susanne Gannott
Wenn Rechtsextremisten in den Stadtrat gewählt werden oder Neonazis gegen „Multikulti in Deutschland“ demonstrieren, sind offizielle Bedenken- und Würdenträger schnell bereit, ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen. Man beschwört das „weltoffene“ und „tolerante“ Köln, in dem viele Nationen wie „echte Fründe“ friedlich nebeneinander leben. Dass städtische Behörden gleichzeitig genau das Gegenteil praktizieren und mitunter alles daran setzen, so genannte „Ausländer“ aus Stadt und Land zu treiben, zeigt der Fall des Ehepaars Horuz. Nach 25 Jahren Aufenthalt in Köln sollen die beiden samt sieben ihrer acht Kinder, die alle hier geboren sind, in die Türkei abgeschoben werden.
Das Argument der Kölner Ausländerbehörde für die „Ausweisungsverfügung“: Der 48-jährige Vater habe keine Arbeit und könne die Familie nicht ernähren. Pikanterweise ist es jedoch ausgerechnet die Kölner Agentur für Arbeit (AA), die Cumali Horuz die Erlaubnis zu arbeiten verweigert. „Da beißt sich die Katze in den Schwanz“, sagt Dicle Demircigil, Mitarbeiterin in der Kanzlei von Rechtsanwalt Hanswerner Odendahl, der die Familie vertritt. Fidan Horuz, die älteste Tochter, die Arbeit hat und daher als einzige nicht von Abschiebung bedroht ist, verzweifelt an dieser Argumentation: „Wir wollen kein Geld vom Staat, wir wollen nur arbeiten dürfen.“ Doch ihrem Bruder Sinan, 20 Jahre, ging es wie dem Vater: Auch ihm verweigerte das Arbeitsamt die Aufnahme einer Arbeit, die er sich gesucht hatte.
In dieser juristischen Zwickmühle aus verweigerter Aufenthaltserlaubnis mangels Arbeit und verweigerter Arbeitserlaubnis mangels Aufenthaltsgenehmigung steckt die Familie Horuz seit 1999. Damals verlor Cumali Horuz die Arbeitsstelle beim Bruder, der in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckte. Damit verlor Horuz aber auch seine befristete Aufenthaltsgenehmigung, die er 1996 bekommen hatte, nachdem sein Asylantrag nach 16 Jahren (sic!) endgültig abgewiesen worden war. Horuz war damit 1999, nach 20 Jahren in Deutschland, von Amts wegen nur noch „geduldet“. Trotzdem suchte er weiter Arbeit, hätte bei Ford auch eine haben können, wenn ihm die AA nur eine Arbeitserlaubnis ausgestellt hätte.
Seitdem ist die Familie laut Demircigil durch alle juristischen Instanzen gegangen. Im September lehnte das Oberverwaltungsgericht Münster die letzte Beschwerde von Anwalt Odendahl ab, der argumentiert hatte, nach 25 Jahren Aufenthalt müsse man der Familie „aus humanitären Gründen“ ein Bleiberecht gewähren. Aber das Gericht konnte in einer Abschiebung keine „unzumutbare Härte“ erkennen. „Man sagte, die Eltern seien selbst Schuld, weil sie das Verfahren mit den vielen Asyl- und Folgeverfahren so in die Länge gezogen hätten“, erzählt Demircigil.
Für die Familie ist das kompromisslose Vorgehen der Behörden „völlig unverständlich“. „Wir Kinder sind hier geboren und aufgewachsen, Deutschland ist unsere Heimat“, sagt der 18-jährige Ferhat. Er geht auf die Europaschule in Zollstock und will im nächsten Frühjahr Abitur machen. „Wenn wir abgeschoben werden, kann ich die Schule vergessen, dazu reicht mein Türkisch nicht. Außerdem werden mein Bruder und ich dann erstmal zwei Jahre zum Militärdienst einkassiert.“ Fatma, die Mutter, erlitt aus Angst vor dem drohenden Verlust ihrer Existenz in Deutschland einen Nervenzusammenbruch und liegt seit einer Woche in der Uniklinik, erzählt Fidan. „In der Türkei haben wir gar nichts, alle unsere Verwandten leben in Deutschland. Wir wären dort obdachlos.“
Letzte Hoffnung ist jetzt die Härtefallkommission beim NRW-Innenministerium. Die könnte dem Kölner Ausländeramt „empfehlen“, der Familie ein Aufenthaltsrecht zu geben, erklärt Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat. Bei solchen Entscheidungen hätten die Behörden immer einen Ermessensspielraum. Und man könnte der Familie durchaus ihren langjährigen Aufenthalt in Deutschland, die offensichtliche Integrationsbereitschaft und das Bemühen um Arbeit zugute halten.
Die Kinder befürchten allerdings, dass der Wink aus Düsseldorf zu spät kommen könnte. Denn für heute wurde die ganze Familie zum Ausländeramt bestellt, erzählt Fidan. „Wir haben Angst, dass man uns gleich da behält und sofort abschiebt.“