: Ikone des Vereins
Der Taekwondo-Bundesligist „Hamburg Sharks“ hat eine ungewöhnliche Managerin: die 86-jährige Gisela Jacobs
HAMBURG taz ■ Wer auf ihrer Visitenkarte vergeblich nach Fax- oder Handynummer und Mail- Adresse sucht, mag sich vielleicht wundern. Die Team-Managerin der „Hamburg Sharks“ ist nur über das gute alte Festnetz zu erreichen. Doch das Telefon ist für Gisela Jacobs in diesen Tagen der wichtigste Kommunikationskanal. „Ich rede gern und viel“, sagt die weißhaarige Frau. Dass diese Eigenschaft ihr Kapital ist, liegt auch an der klaren Stimme und der präzisen Wortwahl der 86-Jährigen. Nur zu gern würde sie für diesen Job ihre Dreizimmerwohnung im Arbeiterstadtteil Hamm, in der sie seit 50 Jahren lebt, öfter verlassen, Freunde treffen, Kontakte pflegen. Doch ihre Knochen wollen nicht mehr so wie sie, machen ihr das Gehen schwer. Am kommenden Sonntag aber ist das egal. Da startet die quirlige Rentnerin mit „meinen Jungs“, wie sie die Mitglieder der Taekwondo-Mannschaft liebevoll nennt, vor heimischer Kulisse ins Abenteuer Bundesliga. Und schon vor dem Kampf gegen das Bonner „Team Kwon“ können die Sharks einen Gewinn verbuchen. Dank ihrer Managerin stellen sie ihre Kampfkünste jetzt in einer schmucken Sporthalle auf St. Pauli zur Schau. „Gute Kontakte sind eben alles“, versichert Gisela Jacobs selbstbewusst.
Von der koreanischen Kampfsportart ihrer national wie international erfolgreichen Schützlinge habe die gebürtige Hamburgerin, wie sie lächelnd gesteht, „gar keine Ahnung“. Muss sie auch nicht, glaubt man Nationalmannschaftsmitglied Sven Hartmann, dem 2. Vorsitzenden: „Sie verhilft uns zu Quantensprüngen, schließlich ist sie eine Ikone der Vereinsarbeit“, schwärmt der 31-Jährige über die Verstärkung am Mattenrand. Im Frühjahr entschied sich Gisela Jacobs für ihr neues Ehrenamt. Das Innenleben eines Sportvereins kennt sie wie keine andere, weiß nur zu gut um die Fein- und Grobmotorik der täglichen Abläufe: Vorher führte sie 36 Jahre den von ihr gegründeten Verein für Leibesübungen und Freizeitgestaltung, kurz VLF. Ihre plötzliche Abwahl empfand sie als „kaltblütige Intrige“, doch der Blick ging nach vorn. „Ich hatte sofort zwei, drei Anfragen, ob ich nicht woanders helfen könnte“, freut sie sich. Gisela Jacobs entschied sich für die Sharks, die als Abteilung mit ihr den VLF verließen und einen eigenen Verein gründeten.
Das Ziel, die rund 100 Mitglieder starke Gemeinschaft um junge Mitstreiter zu erweitern, knüpft sie an eine klare Formel: „Mehr Bekanntheit, mehr Hallenzeiten, mehr qualifizierte Übungsleiter – aber nur auf solider finanzieller Basis.“ Nächstes Jahr wolle sie sich in den Vorstand wählen lassen, kündigt Jacobs an. Ihre Vorstellungen von einem funktionierenden Vereinswesen artikuliert sie freundlich-charmant, aber mit scharfem Verstand.
Bei einem Saisonetat von nur 4.000 Euro zählt jeder Cent. Gisela Jacobs weiß Kostenbewusstsein und Psychologie zu kombinieren. Für 70 Einladungsbriefe bat sie die Mitglieder, je eine Briefmarke mitzubringen. „Einige kamen sogar mit drei Stück, die waren richtig stolz.“ Sie gebe den Menschen eben gern das Gefühl, etwas Gutes zu tun, erklärt sie. So auch dem Verantwortlichen eines Getränkeunternehmens, den sie zwecks Spende für die Bewirtung von „VIPs“ anrief. Aus anfänglicher Ablehnung wurden „nach 29 Minuten Telefonat“ zwei Kisten Bier, am Ende standen sogar acht zur Abholung bereit. „Dieses Infoblatt hier“, und sie wedelt mit einem A 4-Bogen, „hat mein Banker für uns gemacht.“ Das Netzwerk funktioniert, die Liste der kleinen Erfolge wird länger.
Menschen einbinden, Transparenz schaffen, Dazugehörigkeit vermitteln. Werte, die die 86-Jährige wie eine Blaupause mit sich trägt. Auch als lizenzierte Übungsleiterin für Gymnastik, Tanz und Yoga wusste sie Jahrzehnte ihre Gruppen zu begeistern. Bis vor drei Jahren stand die gelernte Kindergärtnerin noch vier Abende die Woche in der Sporthalle. „Das fehlt mir unheimlich“, sagt sie mit für ihre Verhältnisse getrübter Stimme. Wohl deshalb liebt Gisela Jacobs Clowns, die als Figuren ihre ganze Wohnung verzieren: „Die sind nach außen fröhlich, können innen aber auch mal trauern.“ Doch Stillsitzen ist nicht. Bei ihrem Orthopäden um die Ecke bietet sie für Patienten, denen wie ihr das Laufen schwer fällt, eine spezielle Rückengymnastik auf dem Stuhl an.
Gisela Jacobs tut nicht nur, was sie will – sie will vor allem, was sie tut. Ihr Auto hat sie vor zwei Jahren verkauft, im November will sie in ihre kleine Ferienwohnung auf Mallorca, und im Winter möchte sie einen Internetkurs besuchen – ein Bekannter hat ihr schließlich ein Laptop geschenkt. „Bridge spielen ist nicht mein Ding, ich muss was bewegen“, so das Motto der Team-Managerin. „Den Job mache ich, bis ich tot bin“, verkündet sie salopp. Nicht nur den Hamburg Sharks ist zu wünschen, dass Gisela Jacobs noch lange lebt. JAN SCHÜTTE