Politik macht Schule

Berlins Parteien lernen von den Kirchen: Das Bündnis „Pro Poli“ plant einen Volksentscheid für ein freies Wahlrecht beim Politikunterricht. Jetzt werden deshalb LehrerInnen mit Parteibuch gesucht

VON ALKE WIERTH
UND SEBASTIAN HEISER

Politiker aller Parteien planen nach taz-Informationen einen Volksentscheid zur Veränderung des Politikunterrichts. „Wir müssen jetzt darüber nachdenken, wie künftig die politische Neutralität der Schule noch besser gewährleistet werden kann“, sagte ein SPD-Mitglied, das wegen der Brisanz des Themas nicht namentlich genannt werden wollte. Und weil nach Ansicht der Politiker nur die Parteien selbst neutral über ihre Positionen informieren können, soll sich an diesem Mittwochabend das parteiübergreifende Bündnis „Pro Poli“ offiziell gründen.

Durch den Volksentscheid sollen neben das bisherige Unterrichtsfach Politik mehrere neue, jeweils an die Werte einer Partei gebundene Fächer gestellt werden. Die neuen Unterrichtsangebote sollen alternativ zu dem jetzigen gewählt werden können. „Wer sich in der Verschiedenheit der Meinungen in unserer politisch so vielfältigen und bunten Stadt zurechtfinden will, muss doch zunächst in seinen eigenen Ansichten und Grundwerten verankert sein“, sagte ein Mitglied des Fraktionsvorstandes der Linkspartei der taz.

Die CDU greift den bisherigen Politikunterricht offen an: Es sei „eine unerträgliche Anmaßung“, heißt es aus dem Kreis der Kreisvorsitzenden, dass die Lehrkräfte des bisherigen Politikunterrichts behaupteten, in ihrem Unterricht politisch neutral zu sein. Niemand könne seine eigenen Überzeugungen ausblenden, weiß der CDUler: „Schon gar nicht diese Altachtundsechziger, zu denen die Politiklehrer in der Mehrheit gehören.“ Bereits die Rahmenlehrpläne des Politikunterrichts zeigten, sagt eine Mitarbeiterin der von der FDP bezahlten Agentur für Öffentlichkeitsarbeit, wie es um dessen angebliche Neutralität stehe: „Da geht es überwiegend um Globalisierung, Gewerkschaften und Verbraucherschutz!“

Einzig die Position der Grünen ist differenzierter: „Wir lehnen die Ziele von ‚Pro Poli‘ ab, weil weiterhin alle Menschen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und Überzeugungen gemeinsam an einem Unterrichtstisch sitzen sollen. Wenn der Volksentscheid durchkommt, begrüßen wir das dennoch als einen bedeutenden Gewinn für die Basisdemokratie“, erfuhr die taz aus dem Kreisvorstand Friedrichshain-Kreuzberg.

„Pro Poli“ ist das erste Beispiel dafür, dass die Parteien von sich aus den Bürgern eine Frage zur Entscheidung vorlegen. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hatte erst in der vergangenen Woche im taz-Interview gesagt, so ein Verfahren sei „ein Punkt, den man vielleicht mal diskutieren sollte. Dann könnte die Regierung eine Umfrage ansetzen und beispielsweise fragen: Wie steht ihr zur Fassade des Schlosses?“

Wenn das Volksbegehren Erfolg hat, sollen bei Kindern und Jugendlichen bis 17 Jahre die Eltern entscheiden, an welchem Politikunterricht ihre Kinder teilnehmen. Die Altersgrenze unterscheidet sich von der beim Religionsunterricht. Hintergrund: Die Religionsmündigkeit tritt mit 14 Jahren ein, die politische Mündigkeit und damit das Wahlrecht beim Politikunterricht erst mit 18 Jahren.

Der parteigebundene Politikunterricht soll – wie auch der konfessionsgebundene Religionsunterricht bei einem Sieg von „Pro Reli“ – benotet werden und versetzungsrelevant sein. Bei der Leistungsbewertung soll aber nicht die Stärke politischer Überzeugung im Vordergrund stehen: Deren Rolle in der politischen Praxis werde sowieso überschätzt, sind sich die Mitglieder von „Pro Poli“ einig. Wichtiger sei Toleranz, Dialog- und Bündnisfähigkeit.

Die Lehrkräfte müssen über ein Fachstudium und die entsprechende Parteizugehörigkeit verfügen. Die Parteimitglieder werden nicht von ihren Parteien entlohnt, sondern vom Senat, um die erforderliche Neutralität der Schulen sicherzustellen.