: Danziger Distanzierung verfehlt ihr Ziel
Bundespräsident Rau warnt vor einer neuen Spaltung Europas. Kann er die Vertriebenen noch bremsen?
Die gemeinsame Erklärung des polnischen und des deutschen Präsidenten zum Plan eines Zentrums gegen Vertreibungen enthält eine zwar indirekte, dafür aber deutliche Distanzierung vom Berliner Projekt des Bundes der Vertriebenen.
Kwasniewski und Rau stellen erstens klar, dass Umsiedlung, Flucht und Vertreibung nur im historischen Kontext verstanden werden können. Insbesondere die Vertreibungen im Gefolge des Zweiten Weltkriegs setzten Klarheit über die nazistische Eroberungs- und Ausrottungspolitik voraus. Die Präsidenten fordern zweitens zu einem „aufrichtigen europäischen Dialog“ über die Vertreibungen des 20. Jahrhunderts auf. Das Ergebnis dieses Dialogs sollen „Empfehlungen über Form und Struktur einer Bestandsaufnahme der Vertreibungen“ sein. Wir stehen demnach erst am Beginn einer entsprechenden Projektarbeit, die zudem im europäischen Rahmen organisiert werden sollte. Damit ist eine klare Absage an den fertigen Zentrumsplan unter der Regie des Bundes der Vertriebenen ausgesprochen.
Drittens warnen die beiden Präsidenten vor dem Missbrauch der Vertriebenenschicksale zu politischen Zwecken. Beide sprechen sich generell gegen Entschädigungsansprüche, gegenseitige Schuldzuweisungen und Verlustaufrechnungen aus. Gerade letzterer Punkt verdient Beachtung, wird doch das Projekt des Bundes der Vertriebenen vor allem in Polen und Tschechien als ideologischer Hebel für Restitutions- bzw. Schadenersatzansprüche der deutschen Vertriebenen gesehen. Allerdings sollte die Präsidentenerklärung nicht so verstanden werden, dass solche Ansprüche schlechterdings nicht existieren. Denn dann würde den Forderungen seitens jüdischer Verfolgter ein weiteres Mal grobes Unrecht zugefügt.
Die Erklärung warnt vor einer erneuten europäischen Spaltung im Gefolge des Streits um die Vertreibungen und um die richtige Weise, ihrer zu gedenken. Damit wird auf die schon jetzt fühlbaren neurotisch-nationalistischen Reaktionen auf das Zentrumsprojekt angespielt.
Allerdings steht in Frage, ob eine gemeinsame polnisch-deutsche Erklärung diesem Zweck wirklich dient. Spart sie doch die Stellungnahmen der anderen ostmitteleuropäischen und südosteuropäischen Staatsoberhäupter aus und erweckt den Eindruck einer falschen, überheblichen Stellvertreterpolitik. Das kann, gerade im Bereich der symbolischen Politik, wo sehr viel von Gesten abhängt, nur zu unguten Reaktionen führen und hat es im Fall Tschechiens und der Slowakei bereits getan.
Die Erklärung Raus und Kwasniewskis wird die Entschlossenheit Erika Steinbachs, das Zentrums-Projekt des Bundes der Vertriebenen voranzutreiben, in keiner Weise bremsen. Innenpolitisch stehen nach der Pro-Steinbach-Erklärung Angela Merkels die Fronten fest. Raus Amtszeit läuft ab, und der nächste Bundespräsident wird der staatlichen Förderung des Berliner Zentrums positiv gegenüberstehen. CHRISTIAN SEMLER