Frankreichs kultiviertester Mann

Supermann Trichet: Er gilt als einer der besten Banker des Kontinents und als Mann der leisen Töne. Und er ist ein kompromissloser Monetarist

aus Paris DOROTHEA HAHN

„Ajatollah des starken Franc“ haben ihn in den 90er-Jahren Gaullisten in Paris geschimpft. Präsidentschaftskandidat Jacques Chirac versuchte ihn während des Wahlkampfs 1995 mit folgendem Hinweis in seine Schranken zu weisen: „Der Zentralbankchef bestimmt nicht die Wirtschaftspolitik Frankreichs“. Und auch der einstige sozialdemokratische Regierungschef Lionel Jospin reagierte verschnupft auf Trichets Appelle für Ausgabendisziplin und Lohnmäßigung.

Doch jetzt, da er Paris in Richtung Frankfurt am Main verlässt, ist Jean-Claude Trichet unantastbar geworden. In den Kreisen, die in Europa Macht und Einfluss haben, gilt der 60-Jährige als bester aller französischen Banker. Und als einer der besten auf dem ganzen Kontinent. Gerade weil er so ein harter Monetarist ist, der kompromisslos gegen Inflation und für Stabilität eintritt. Und weil er notfalls auch der eigenen Regierung die Leviten liest.

Wie erst neulich wieder. Da war bekannt geworden, dass Frankreich in diesem Jahr alle EU-Rekorde mit einem Haushaltsdefizit von 4 Prozent bricht. Und Premierminister Raffarin hatte trotzig erklärt, auch in den nächsten Jahren werde es bei einer hohen Staatsverschuldung bleiben. Trichet antwortete ihm auf dem diplomatischen Umweg über ein Schreiben an die Europaabgeordneten. „Es ist ein Irrtum zu glauben“, schrieb er, „dass ein Haushaltsdefizit in einer schwierigen Periode zwangsläufig von Vorteil ist.“

Gemeinsam haben der konservative Staatspräsident Chirac und die damalige linke französiche Regierung Trichet als zweiten Chef der Europäischen Zentralbank durchgesetzt. Gegen den Widerstand von Bundeskanzler Kohl und gegen zahlreiche andere EU-Regierungen. In einer nächtlichen Gipfelsitzung im Mai 1998, deren Details bis heute nicht restlos bekannt geworden sind, sorgte Chirac dafür, dass Wim Duisenberg, der in Frankreich als Kandidat der Deutschen galt, zusagte, nach der ersten Hälfte seiner achtjährigen Amtszeit zurückzutreten.

Trichet hat in Frankreich eine Bilderbuchkarriere absolviert. Der in Lyon geborene Beamtensohn besuchte mehrere Eliteschulen für Wirtschaft, Politik und Verwaltung, arbeitete in verschiedenen Abteilungen des Finanzministeriums und wurde im Alter von 36 Jahren Industrieberater von Staatspräsident Giscard d’Estaing. Später beriet er den rechtsliberalen Finanzminister Balladur, leitete das Schatzamt und avancierte 1993 zum Präsidenten der französischen Zentralbank. Unterwegs erwarb der Literaturkenner und Liebhaber von Jazz und klassischer Musik den Ruf, der „beste Beamte seiner Generation“ und der „kultivierteste Mann Frankreichs“ zu sein.

Der Karrierebruch kam im Jahr 2000. Da holte ihn ein Ermittlungsverfahren der Justiz wegen gefälschter Bilanzen und betrügerischer Marktinformationen bei der einstigen Staatsbank Crédit Lyonnais ein. Trichet, der zur fraglichen Zeit die Oberaufsicht über die Staatsbanken hatte, musste sich wegen Komplizität vor einem Strafgericht verantworten. Trotzdem harrte er in seinem Amt an der Spitze der Banque de France aus. Und Chirac seinerseits hielt unbeirrt an Trichet als EZB-Chef fest.

Die Zitterpartie dauerte bis zum 18. Juni. Da wurde Trichet freigesprochen – während drei seiner acht Mitangeklagten zu Gefängnisstrafen auf Bewährung verurteilt wurden.

Mit dem Umzug Trichets aus Paris nach Frankfurt wird sich in der EZB allenfalls der Ton ändern. Trichet ist ein Meister der leisen und zurückhaltenden Umgangsformen der französischen Elite. Als Banker aber unterscheidet er sich kein bisschen von seinen europäischen Kollegen – auch nicht von denen in Deutschland. Eine „europäische Wirtschaftsregierung“, also ein politisches Regulativ an der Seite der EZB, wie es manche Franzosen wünschen, ist mit Trichet nicht zu haben.

In der Banque de France hinterlässt Trichet tiefe Verbitterung. Dort liegt ein „Umstrukturierungsplan“ vor, der die Schließung von Zweigstellen im ganzen Land, die Privatisierung mehrerer Bankbereiche und die Streichung von 2.500 Arbeitsplätzen – 17 Prozent der Belegschaft – beinhaltet. Trichet ließ diesen Plan noch in seiner letzten Amtswoche verabschieden.