: Niemals endender Soundtrack
In seiner Reihe „Kunst des Dokuments“ widmet sich das Zeughaus-Kino im April und Mai Jazzfilmen – darunter Charlotte Zwerins Porträt „Thelonious Monk: Straight, No Chaser“ und Bert Sterns Festivaldokumentation „Jazz on a Summer’s Day“
VON EKKEHARD KNÖRER
Eine Fundsache: Zwanzig Jahre alt war das Filmmaterial, auf das der Dokumentarfilmer Bruce Ricker Ende der Achtzigerjahre stieß. Insgesamt 14 Stunden historischer Aufnahmen von Proben und Auftritten des großen, 1982 verstorbenen Jazzpianisten und -komponisten Thelonious Monk. Gedreht hatte sie in den Jahren 1967 und 1968 Christian Blackwood fürs deutsche Fernsehen. Das Material war vergessen, Blackwood hatte es im Gespräch mit Bruce Ricker zufällig erwähnt. Der hob den Schatz gemeinsam mit der Dokumentaristin Charlotte Zwerin und mit dem großen Jazzfan Clint Eastwood, der „Thelonious Monk: Straight, No Chaser“ produzierte.
Die historischen Aufnahmen sind der Kern des so entstandenen Films, mit dem heute im Zeughaus eine Reihe zum Jazz-Dokumentarfilm eröffnet wird. Monk auf der Bühne, hinter der Bühne. Er sitzt am Klavier und hämmert in charakteristischer Manier auf die Tasten, begleitet von den Musikern seines Quartetts, darunter Charlie Rouse am Tenorsaxofon. Monks Sound schmeichelt niemandem, dem Instrument nicht und auch nicht den Ohren der Hörer. Zu hören sind zwölf Monk-Titel, von „Evidence“ bis „Round Midnight“. Auch wenn sie nicht immer von Anfang bis Ende ausgespielt werden, machen sie den Film für jeden Monk-Fan zum Pflichtprogramm.
Charlotte Zwerin begnügt sich damit allerdings nicht. Sie will dem Menschen Monk näher kommen, der allen ein Rätsel war. Eigentümlich erscheint er in den historischen Bildern, ganz bei sich, wenn er spielt, wie weggetreten abseits der Bühne. Man sieht ihn bei seltsamen Pirouetten und Gängen, für die er das Klavier verlässt. Zwerin hat Kollegen befragt – Bandmitglied Charlie Rouse vor allem –, aber auch seine Frau, seinen Sohn. Sie zeichnen das Porträt eines Mannes, der seine Musik einer überhand nehmenden Schizophrenie abrang. Die letzten Jahre spielte er nicht mehr, verdämmerte er apathisch. Wie sehr oder wenig man sich für Zwerins biografische Recherchen interessieren mag, der einzigartigen Musik des Thelonious Monk nähert sie sich damit jedenfalls nicht.
Wie die posthume Filmbiografie eines gerade noch Lebenden nimmt sich das 1987 entstandene Chet-Baker-Porträt „Let’s Get Lost“ des Fotografen Bruce Weber aus. Es kam unmittelbar nach dem Tod des Musikers durch Hotelfenstersturz in die Kinos und endet mit einer lapidaren Schrifttafel, die über das Ende Bakers informiert. Weber war in dessen letztem Lebensjahr mit Chet Baker unterwegs und fängt in atmosphärischen, aber auch sehr selbstgefälligen Schwarz-Weiß-Bildern mit viel Handkamera Aufnahmen von einer Autofahrt durch Amerika ein. Aber auch im Studio sieht – und hört! – man Baker. Die sanften Töne, die er seinen beiden Instrumenten, der Trompete wie dem eigenen Stimmband, entlockt, machen sich, das hat Regisseur Weber klar erkannt, hervorragend als beinahe niemals endender Soundtrack.
Baker, das strahlend charismatische Jugendidol der Fünfzigerjahre, ist in diesen späten Jahren nach Jahrzehnten des Heroinkonsums ein erschreckender Anblick. Sehr bewusst inszeniert sich der Film als Nachruf zugleich und Dokument eines letzten Aufflackerns der Lebenslust. Das Bild, das er in vielen Gesprächen mit Frauen und Exfrauen und Mitstreitern von Baker entwirft, ist nicht unbedingt schmeichelhaft, dafür umso obsessiver auf die Person statt auf die Musik seines Gegenstands konzentriert.
Das trifft ganz gewiss überhaupt nicht zu auf „Jazz on a Summer’s Day“ von 1960, einen der unbestrittenen Höhepunkte der Zeughaus-Reihe. Auch hier führte ein Fotograf Regie, es ist der erste und einzige Film des mit den letzten Aufnahmen von Marilyn Monroe selbst ein bisschen unsterblich gewordenen Bert Stern. Eher durch Zufall erfuhr Stern vom Jazzfestival, zu dem sich in Newport die bessere neuenglische Gesellschaft seit Mitte der Fünfziger traf. Er reiste an und filmte an einem Wochenende des Jahres 1958 die Auftritte einer Reihe damaliger und nachmaliger Legenden, von Jimmy Giuffre bis Louis Armstrong, vom Chico Hamilton Quintet bis zu Thelonious Monk. Ehrenhalber dem Jazz zugeschlagen sind Chuck Berry, der unter den jüngeren Teilen des Publikums für Begeisterung sorgt, und die große Gospelsängerin Mahalia Jackson, mit deren grandiosem Auftritt das Konzert in der Dunkelheit endet.
Dem Fotografen Stern gelingen intensive Aufnahmen in üppiger Koloration. Aufnahmen der Musiker auf der Bühne, auch des Publikums auf den Stühlen davor. Stern verzichtete zum Glück auf eine ursprünglich geplante zusätzliche Spielfilmhandlung, hatte jedoch die inspirierte Idee, Bilder vom gleichzeitig stattfindenden America’s Cup der Segler unter die Aufnahmen zu mischen. Puristen mag das verärgern – Ansagen zur Regatta als Voiceover über der Musik von Theolonious Monk! –, als Stimmungsmalerei, die das Jazz-Glück als Ausnahmezustand spürbar macht, ist der Film über die Maßen geglückt.
Das Programm und die Termine sind unter www.dhm.de/kino/index.html zu finden