Rebellen voll in ihrem Element

Bei der Gründungsversammlung in Duisburg zeigten die Regierungsgegner von der Wahlalternative einen Hang zur Streitsucht. Klare Mehrheit für Teilnahme an der NRW-Landtagswahl 2005

AUS DUISBURGMARTIN TEIGELER

Die FDP-farbene Dekoration im Veranstaltungssaal passte zum schrillen Verlauf der Versammlung. Ausgerechnet eingerahmt von blau-gelben Wandflaggen fand gestern in Duisburg-Rheinhausen die erste Landesmitgliederversammlung der „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ (WASG) statt. Gut 400 Regierungskritiker aus ganz NRW machten ihrem Ruf alle Ehre: Teilweise erbittert und streitsüchtig diskutierten die „Rebellen“ – viele von ihnen ausgetretene oder ausgeschlossene SPD-Mitglieder – fast den ganzen Tag über Satzungsfragen, Wahlformalien und politische Taktik.

Tagungspräsident Hans Wallow war es zu verdanken, dass sich die laute Versammlung trotz aller Streitereien immer wieder zusammenraufte. „Ruhe in der Bude“, hatte der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete schon zu Beginn süffisant in den lärmenden Saal gerufen. Erst mit knapp halbstündiger Verspätung nahmen die Verhandlungen der Linkspartei, die bislang satzungsmäßig noch ein Verein ist, ihren Lauf.

In seiner Begrüßungsansprache gab WASG-Landeskoordinator Heinz Hillebrand den kämpferischen Ton vor. Eine neue linke Partei müsse gegen den „neoliberalen Einheitsbrei“ ankämpfen, sagte der Wuppertaler. Die WASG Nordrhein-Westfalen, mit 1.100 Mitgliedern größter Landesverband der seit dem Frühjahr gewachsenen Protestbewegung, müsse das Zeichen geben, die unsoziale Politik in Berlin und Düsseldorf zu stoppen. Hillebrand verlas eine Solidaritätsadresse an die Opel-Arbeiter in Bochum. Unter lautem Beifall der WASG-Aktivisten forderte er die Landesregierung auf, die Beschäftigten vor Ort zu unterstützen. Der Staat solle Geld in die Hand nehmen. Zur Not müsse das Land NRW auch als Unternehmer tätig werden, verwies Hillebrand auf die Sozialisierungs-Bestimmungen in der Landesverfassung.

Die Solidarität mit den Opel-Arbeitern bestimmte die WASG-Zusammenkunft. Fast alle Redner sprachen das Plenum mit „liebe Kolleginnen und Kollegen“ an. Eine Sammelbüchse mit Spenden für die Mahnwächter vor dem Bochumer Opel-Werk wurde durch die Reihen gereicht. WASG-Vertreter Rainer Sauer aus Bocholt kündigte unter großem Beifall an: „Ich hab mir Urlaub genommen, um ab Montag morgen mit den Kollegen in Bochum zu demonstrieren.“

Immer wieder wurde die Sitzung von Geschäftsordnungsdebatten unterbrochen. Erst konnte man sich nicht einigen, in welcher Reihenfolge die allesamt für wichtig erachteten Themen beraten werden sollten. Dann kamen laute „Buh“-Rufe auf, weil die kommissarische Landesführung eine Liste von Wahlvorschlägen verteilten wollte. „Ich bin ja bei Euch. Leute, hier bescheißt Euch keiner“, versuchte Versammlungsleiter Wallow die erregten Gemüter zu beruhigen. Als ihn die zänkischen Debatten zu sehr nervten, ermahnte der Ex-Parlamentarier: „Das kriselt jetzt ein bisschen. Fangt nicht an, das hier zu chaotisieren.“

Die Rede des WASG-Bundesvorstands Klaus Ernst ging fast unter im Kleinklein der Kollegen. „Unsere Chance liegt in der Mitte des linken Spektrums“, sagte Ernst. Er forderte dazu auf, um enttäuschte SPD-, CDU- und Grünen-Wähler zu kämpfen, statt am linken Rand auf Stimmenfang zu gehen. Eine Teilnahme an der NRW-Landtagswahl solle die WASG nur anstreben, wenn sie organisatorisch gefestigt sei. „Wenn wir antreten, müssen wir auch gewinnen“, sagte Ernst. Ein Scheitern bei einem Ergebnis von 4,5 Prozent wäre eine Niederlage, so die Warnung.

Die Skepsis der Bundesführung teilten die meisten Redner nicht. „Von hier aus muss ein Signal nach Düsseldorf ausgehen“, sagte Peter Jaszczyk, WASG-Mann aus Bottrop und Ex-Betriebsratschef von Opel Bochum. Die Protestbewegung müsse möglichst schnell die Stimme erheben im Parlament – auch im Landtag. Manuel Kellner von der Kölner WASG-Gruppe unterstützte ihn: „Es ist besser, gestern anzufangen, als übermorgen.“ Trotzdem dürfe die WASG nicht nur ein „Wahlverein“ sein, sondern müsse sich auch in den sozialen Bewegungen verankern, so Kellner.

Mit großer Mehrheit von rund 300 Stimmberechtigten beschlossen die Wahlalternativen am Nachmittag die Teilnahme an der NRW-Landtagswahl 2005. Ab heute soll der Landtagswahlkampf vorbereitet werden. Opel-Arbeitskämpfer Peter Jaszczyk brachte die Stimmung auf den Punkt: „Düsseldorf, wir kommen!“ Nach einer Bundesdelegiertenversammlung am 20. November soll Anfang Dezember bei einer Urabstimmung endgültig über eine Parteigründung entschieden werden.