PETER UNFRIED über CHARTS
: Vienna calling

Wien im Oktober: Auf der Suche nach der Frau Jelinek finden sich der Ambros, der Falco und der Thomas Bernhard

Gestern fahr ich mit der Tram Richtung Favoriten. Draußen regnt’s, drinnen stinkt’s, und ich steh in der Mitten. Und denke: Himmel Herrgott, das ist jetzt aber original wie in „Zwickts mi“, dem weltberühmten Song von Wolfgang Ambros. Da fährt der ja auch mit der Straßenbahn („Gestern fohr i mit der Tramway Richtung Favoriten.“)

Wer hätte als Kind gedacht, dass das Leben auf so eine abgefahrene Art und Weise die Kunst imitieren könnte?

Wien im Oktober: Peter Paul Rubens stellt aus. Das ist so eine Art flämischer Russ Meyer. „Silentium“ mit dem großen Josef Hader läuft im Apollo. Grinzing in Not: Es gibt kaum noch Heurigenwirte, die ihren Heurigen selbst anbauen. Und ich hab noch nie eine Stadt erlebt, in der soviel geraucht wird. Grade auch von Frauen. Ob Stella, Marilyn oder Yvonne: Wien stinkt nach Rauch. Und du stinkst mit, ob du das jetzt willst oder nicht.

Bin ja selbstverständlich wegen der ungnädigen Frau Jelinek gekommen. Das ist jetzt interessant: Ich habe ja vor vielen Jahrzehnten auch mal einen Geschlechtsverkehr als Bestrafung empfunden. Und eigentlich einen Preis dafür verdient, dass ich durchhielt. Aber das führt wahrscheinlich ab. Jedenfalls erfahre ich in dieser Tram nach etwa 30 Jahren „Zwickts mi“ in der Plattensammlung, dass es sich bei „Favoriten“ um einen „Bezirk“ handelt. Und zwar um den 10. Östlich vom 10. liegt ja dann der 11. Bezirk, und das ist dann Simmering. Jeder weiß, auch von Ambros: „Wann’s Nacht wird über Simmering, kummt Leb’n in die Tot’n.“ Weil, in Simmering ist bekanntlich der Zentralfriedhof. Da trifft man die Promis. Außer Mozart. Und Hitler. Und Schwarzenegger. Und Sisi. Die liegt – auch sehr schön – mit dem seligen Krampfadern-Karl in einer Gruft im 1. Bezirk. Aber der Moser Hans ist da. Ernst Jandl und Ernst Ocwirk. Bruno Kreisky sowieso. Grade ist zur Feier von 130 Jahren Zentralfriedhof Dr. Thomas Klestil eingetroffen, sicher unumstritten der Neuzugang des Jahres. Am meisten fotografiert werden aber der Hansi Hölzel und seine Frau Mama. Die haben ihr Grab aber auch selbst für Zentralfriedhof-Verhältnisse aufgemotzt. Man sieht den Falco-Hansi auf so einer halb durchsichtigen Wand, in einer Art Dracula-Kostüm. Drumrum eine Liste seiner All-Time-Greatest. „Der Kommissar“. „Jeanny“. „Rock me, Amadeus“. „Vienna Calling“. „Junge Römer“.

„Junge Römer, häh?“ Schon kommt Leben auf am Grab. Liebevolle Fachdiskussionen. Manche Menschen kennen den Song schon gar nicht mehr. Dabei ist er fast so gut wie „Kann es Liebe sein“, das zu Unrecht vergessene Duett mit Desiree Nosbusch.

Es hat was Beruhigendes, zu wissen: Hier liegen sie irgendwann alle. Und zwar eher früher als später, wenn sie so weiterrauchen. Hier wird dann auch die Frau Jelinek einst hingelegt. Wenn sie sich nicht vorher was Schlaues einfallen lässt.

Später Landung im Café Bräunerhof (1. Bezirk). Die Jelinek soll ja auch hier verkehren. Wenn das Wort im Zusammenhang mit ihr nicht strafbar ist. Sie ist aber nicht da. Dafür seitenlange Interviews in den Zeitungen. Und an allen Tischen raunt man sich verschlafen das großartige Wort „Mürzzuschlag“ zu. Eine Personenkontrolle ergibt: alles deutsche Feuilletonredakteure. Auf Stimmungs-Recherche! Na, hier prickelt auch sonst nichts. Nicht mal, wie versprochen, das Vöslauer Wasser. Und der Herr Ober bringt die Fritattensuppen lauwarm. Kein Wunder, dass sich Thomas Bernhard ambivalent über den Bräunerhof geäußert hat. Wird jedenfalls am Nebentisch behauptet. Und dass es in ganz Wien keine Jelinek zu kaufen gebe. Schnell rüber in die Buchhandlung Frick in der Kärtnerstraße (auch 1. Bezirk). Tatsächlich: im Regal eine Lücke zwischen Ja- und Ji-.

Jo, wo ist dann die Je-? Und wo der ihr zustehende Altar, liebe Frau Buchhändlerin?

Jo, der Verlag sei halt auch überrascht worden. Im Laden um die Ecke haben sie dann aber wenigstens noch ein bisschen Gier und Lust. Aber jetzt hab ich nur noch 16 Minuten Zeit. Optimal, weil in 16 Minuten bist du vom Zentrum in Schwechat draußen. Kein Stadt der Welt ist schneller. Direkt vor der Tür vom Flieger eine letzte Zigarettenzone! Schnell vorbei und habe die Ehre. Two, one, zero: Abflug.

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