: Grelles Licht und dröhnender Rock
Im US-Lager Guantánamo herrschte das Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“. Unkooperative Gefangene wurden offenbar regelmäßig misshandelt, Aussagewillige erhielten Privilegien. Das Pentagon spricht von einer professionellen Behandlung
AUS WASHINGTONMICHAEL STRECK
Das Pentagon sieht sich neuen schweren Vorwürfen ausgesetzt: Im Internierungslager Guantánamo Bay auf Kuba seien Häftlinge systematisch misshandelt worden. Dies berichteten Wachsoldaten und Geheimdienstmitarbeiter des US-Marinestützpunktes der Zeitung New York Times. Wenn das Verteidigungsministerium in der Vergangenheit Misshandlungen eingeräumt hatte, sprach es lediglich von Einzelfällen fehlgeleiteter Soldaten.
Den brisanten Enthüllungen zufolge herrschte in Guantánamo das Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“. Gefangene, die nicht mit Verhörspezialisten zusammenarbeiten, wurden bis auf ihre Unterwäsche ausgezogen und an Händen und Füßen gefesselt. Die Männer mussten so bei grellem Licht und dröhnender Rockmusik ausharren. Die Klimaanlage sei extrem hochgefahren worden, um die Gefangenen ungewohnter Kälte auszusetzen. Diese „Behandlungen“ mit dem Ziel, die Willenskraft der Häftlinge zu brechen, hätten bis zu vierzehn Stunden gedauert.
Kooperationswillige Häftlinge hingegen kamen in den Genuss von Privilegien. Sie durften sich in einem großen Raum, dem „love shack“, aufhalten, wo sie Videos gucken und Wasserpfeifen rauchen konnten. Gelegentlich gab es Milchshakes und Hamburger vom stützpunkteigenen McDonald’s.
Erstmals liegen somit detaillierte Beschreibungen über Verhörmethoden vor, die vom Militärpersonal im Internierungslager selbst stammen. Ehemalige Häftlinge und Menschenrechtsorganisationen hatten schon lange Haftbedingungen und Verhörmethoden scharf kritisiert. Nach Auffassung von David Sheffer, Rechtsexperte an der George Washington University, handelt es sich bei der nun enthüllten Praxis gemäß der UN-Folterkonvention eindeutig um Folter: „Ich glaube nicht, dass es daran einen Zweifel gibt.“
Die von US-Soldaten – deren Identität aus Furcht vor Repressalien anonym bliebt – nun beschriebenen Verhörtechniken seien bis zum vergangenen Frühjahr angewendet worden. Nachdem der Folterskandal im Bagdader Militärgefängnis Abu Ghraib bekannt wurde, seien sie unverzüglich eingestellt worden.
Armeeinterne Untersuchungsberichte waren zu dem Ergebnis gekommen, dass die im Irak angewandten Verhörmethoden ihren Ursprung in Guantánamo hatten. Dort hatte Pentagonchef Rumsfeld auf Bitten frustrierter Militärs, die bei den Verhören auf Kuba nicht weiterkamen, im April 2003 eine Liste umstrittener „harter“ Techniken autorisiert. Vorausgegangen waren verschiedene Stellungnahmen des Weißen Hauses und des Justizministeriums, dass die USA im Krieg gegen den Terror nicht an die UN-Folterkonvention gebunden sei.
Das Pentagon schweigt bislang zu den neuen Anschuldigungen. Es erklärte lediglich, das US-Militär gewährleiste in Guantánamo eine „sichere, menschliche und professionelle Behandlung“, die wichtige Informationen im Antiterrorkampf bereitstelle. Kritiker sind jedoch der Auffassung, dass die meisten Gefangenen einfache Taliban-Kämpfer seien, deren geheimdienstlicher Wert gering sei.
In Guantánamo sind derzeit 590 Häftlinge aus über 40 Nationen seit zwei Jahren ohne Anklage oder Zugang zu Anwälten interniert. Die US-Regierung verweigert ihnen den Kriegsgefangenen-Status und deklariert sie zu illegalen „feindlichen Kämpfern“. Zwar billigte sie Taliban-Kämpfern Schutz durch die Genfer Konvention zu, nicht jedoch mutmaßlichen Terroristen. Laut einem Urteil des Obersten Gerichts der USA haben die Gefangenen das Recht auf einen Prozess vor US-Gerichten, um gegen ihre Gefangenschaft zu klagen.