: Die Kunst muss fließen
Der Kulturbetrieb Vietnams ist streng zensiert. Alle Kultureinrichtungen müssen ihre Veranstaltungen vom Staat genehmigen lassen – nur das Goethe-Institut in Hanoi nicht. Probleme gibt es dennoch
VON SEBASTIAN FELLMETH
„Das ist ja so typisch!“ Franz Xaver Augustin, Leiter des Goethe-Instituts Hanoi, zeigt auf die Seite drei der neuesten Ausgabe der Hanoier Tageszeitung Kultur und Sport, eine der meistgelesenen Publikationen Vietnams. Neben einem Bericht zu einer Ausstellung über Georg Baselitz, die das Goethe-Institut gerade im Museum der Künste zeigt, blicken einen zwei Porträts des Malers großäugig an. Sie tun das aufrecht, also nicht, wie vom Künstler gewollt, auf den Kopf gestellt. „Da kann ich mir den Mund fusselig reden, dass Baselitz seine Bilder seit den 60ern verkehrt herum aufhängt“, meint Augustin, „aber das würde ja alles auf den Kopf stellen.“
Der 51-Jährige nimmt es aber letztlich gelassen. Da hat er schon ganz anderes erlebt, außerdem scheint gerade die Sonne in den lichten Innenhof zwischen den beiden Art-déco-Villen aus den Dreißigerjahren, die sich strahlend weiß an einem der großen Boulevards im Zentrum Hanois erstrecken. Bis in die Neunziger war hier eine russische Schule untergebracht, jetzt wurden die Villen mithilfe eines privaten Investors stilgerecht restauriert. Davor stehen drei gewaltige, in die Höhe gereckte Porzellanfäuste. Eine Brunnenskulptur des jungen vietnamesischen Künstlers Le Vu, von Bundeskanzler Gerhard Schröder neulich während seines Vietnambesuchs zum Fließen gebracht. Das Wasser bahnt sich spritzend und sprudelnd seinen Weg zwischen dessen Fingern. „Wer mag, darf das Werk durchaus politisch interpretieren“, sagt Augustin. Das Wasser sei so wie die Kunst: Auf Dauer ließe es sich nicht einzwängen.
Das Goethe-Institut ist zurzeit einer der wenigen Orte im streng zensierten Kulturbetrieb Vietnams, wo sich so etwas zeigen lässt. Das liegt an einem besonderen Abkommen, das in zähen Verhandlungen der Regierung Vietnams abgetrotzt wurde und im Jahr 1997 zur Wiedereröffnung des Goethe-Instituts nach den Kriegsjahren führte. Anders als die britische oder französische Kultureinrichtung muss es sich seine Veranstaltungen und Ausstellungen nicht vom Staat genehmigen lassen. Das heißt aber nicht, dass das Kulturministerium oder das lokale Volkskomitee nicht trotzdem einzugreifen versuchen. Zudem organisiert das Institut auch eine Menge außerhalb der eigenen vier Wände, und das koste laut Augustin Kraft: „Mindestens 80 Prozent unserer Energie bei den Vorbereitungen für die Eröffnung ging für den Kampf mit der Bürokratie drauf.“
Oft dreht es sich dabei um einfache, aber aufwändige Nichtigkeiten, wie das Beharren der Behörden, die Liedtexte für ein deutsches A-cappella-Konzert, allesamt Liebeslyrik des deutschen Barocks, in vietnamesischer Übersetzung vorgelegt zu bekommen. „Englisch, was wir schon hatten, reichte ihnen nicht“, meint Augustin. „Wir konnten deshalb erst zwei Stunden vor Konzertbeginn die erste Karte verkaufen.“
Manchmal reichen die Konflikte aber auch tiefer. So drohte die größte ausländische Fotokunstausstellung der letzten Jahre zu kippen, weil die Kulturwächter plötzlich Pornografie witterten. Peter Hendriks hatte über mehrere Jahre drogenabhängige Prostituierte fotografiert, manche von ihnen auch nackt. Laut Vorschriftenkatalog ist alles tabu, was die öffentliche Moral verletzen könnte. Auch darf nichts gezeigt werden, was sich gegen die Republik Vietnam oder den Sozialismus im Allgemeinen richtet. Deshalb hatte der deutsche Beitrag „Good Bye, Lenin“ keine Chance, beim diesjährigen europäischen Filmfestival in Hanoi gezeigt zu werden.
Im Falle der Fotoausstellung stimmte Augustin allerdings die Zensoren um, indem er sie bei ihrem Patriotismus packte. Er beschwor sie, „dass es kein Zeichen von Stärke, sondern von Schwäche wäre, nämlich von Kleingeist und Provinzialität, die Ausstellung nicht zuzulassen“. Nur zwei Bilder mussten abgehängt werden, und die Ausstellung wurde ein Erfolg.
Diese Strategie klappt nicht immer. So steht ein deutsch-vietnamesisches Theaterprojekt vor dem endgültigen Aus. „Der Besuch der alten Dame“ von Dürrenmatt war mit Mitteln des Goethe-Instituts ins Vietnamesische übersetzt worden und sollte nun vom Nationaltheater aufgeführt werden. Nach einem Jahr Vorbereitung stoppten die Kulturwächter das Projekt. „Zu negativ“ sei die Geschichte über die Käuflichkeit des Menschen und deshalb „unsozialistisch“. Am Ende sollen die guten Kräfte über die Korruption siegen. „Manchmal haben Asiaten und Europäer eben eine andere Sicht auf die Dinge“, sagt Tran Kim Tuh vom Ministerium für Kultur und Information. „Da müssen wir manchmal eingreifen, damit es nicht zu Missverständnissen kommt.“
Das Projekt scheiterte laut Augustin aber nicht nur an der unterschiedlichen „Sichtweise“. „30 Leute im Ministerium werden nur dafür bezahlt, Theaterstücke zu zensieren, die müssen natürlich ihre Existenz rechtfertigen.“ Auch wenn die Bürokraten in der Kulturverwaltung ihn oft verzweifeln lassen, hat der Leiter aber keinen Grund, am Sinn seiner Arbeit zu zweifeln. Seine Sprachkurse sind voll, und nach jahrelanger Isolation, „dürsten die Leute hier nach Kultur“. Die Veranstaltungen seien so gut besucht wie „kaum irgendwo sonst auf der Welt“.
Und dann gibt es auch eine ganze Reihe junger Künstler, für die das Institut immer wichtiger wird, weil sie sich nicht mehr vom verknöcherten Kulturbetrieb gängeln lassen wollen. Gerade legt Tran Luong, einer der wenigen zeitgenössischen Künstler, die sich an Installationen gewagt haben, letzte Hand an seine „Birds“. Dutzende von bunten Pappvögeln sitzen jetzt auf den Vorsprüngen und Giebeln der beiden Villen oder in den Wipfeln der umgebenden Bäume. „Der Staat hält uns wie Fische auf dem Trockenen“, sagt Tran Luong. „Nirgendwo können wir unsere Arbeiten zeigen. Hier im Goethe-Institut können wir allerdings machen, was wir wollen“, meint er und stellt einen grünen Vogel auf ein Fenstersims.