: Aus Überzeugungab ins Gefängnis
Sieben Väter von den „Zwölf Stämmen“ trotzen dem bayerischen Staat: Sie unterrichten ihre Kinder selbst
DEININGEN taz ■ Sieben Väter der Glaubensgemeinschaft „Zwölf Stämme“ wurden gestern im bayerischen Klosterzimmern verhaftet, weil sie sich seit Jahren weigern, ihre Kinder in eine staatliche Schule zu schicken. In der Justizvollzugsanstalt Augsburg müssen sie nun eine „Erzwingungshaftstrafe“ von sechs bis sechzehn Tage verbüßen – je nach Anzahl ihrer schulpflichtigen Kinder. Der Grund: Sie haben Bußgelder nicht bezahlt, die wegen der Verletzung der Schulpflicht verhängt wurden.
Die Verhaftung der Väter ist nur ein erster Schritt. Wenn sie ihre Haft verbüßt haben, müssen noch zehn Mütter ins Gefängnis. Mit der „gestaffelten Abholung“ soll laut Staatsanwaltschaft die Erziehung der Kinder gewährleistet werden.
Die Kinder sollen im nahen nordschwäbischen Deiningen in die staatliche Schule gehen. Doch dort hält man die verhängten Gefängnisstrafen nicht für ein geeignetes Mittel, um die Schulpflicht durchsetzen. Bürgermeister Karlheinz Stippler fordert von den „politisch Verantwortlichen“, endlich eine gangbare Lösung zu finden. Gemeint ist damit vor allem die bayerische Kultusministerin Monika Hohlmeier. „Sie müssen sich das mal bildlich vorstellen. Vierunddreißig Kinder, täglich mit Polizeigewalt zur Schule gebracht. Das ist meines Erachtens faktisch nicht durchsetzbar.“
Doch genau dies wurde schon einmal versucht. Vor zwei Jahren wurden die Kinder von der Polizei zur Schule nach Deiningen gebracht. Schon am Tag darauf kamen sie wieder nicht zum Unterricht. Das Landratsamt Donau-Ries versuchte daraufhin, mit einer Reihe von Bußgeldern gegen die Eltern, den Schulbesuch der Kinder durchzusetzen – vergeblich.
Klosterzimmern ist ein großer Gutshof mit Kirche und Stallungen, mit Landmaschinen, Gewächshäusern und Feldern. Bärtige Männer verrichten die Feldarbeit. Die Frauen tragen lange Röcke oder weit geschnittene Hosen. Nichts deutet zunächst darauf hin, dass diese Leute die bayerische Staatsmacht fordern, wie es schon lange niemand mehr getan hat.
Holger Röhrs von der Glaubensgemeinschaft erklärte noch kurz vor seiner Festnahme, warum die Zwölf Stämme der staatlichen Schulpflicht nicht nachkommen: „Wir legen sehr viel Wert auf eine moralische und ethische Erziehung, und das machen wir in einem ganzheitlichen Ansatz.“ Von Liebe zur Natur, der Führung einer Familie spricht der junge Vater. Sexualkundeunterricht lehnen die Zwölf Stämme ab, und sie wollen nicht, dass ihre Kinder mit Bauchfrei-Mode und den Versuchungen der modernen Leistungsgesellschaft konfrontiert werden.
Dass der Einsatz der Polizei auf Dauer keine Lösung darstellt, weiß auch der Amtschef des Kultusministeriums, Josef Erhard. Es müsse weitere Verhandlungen geben: „Dieses Angebot gilt nach wie vor. Wenn Bereitschaft besteht, offen zu legen, inwieweit und wie genau die Kinder unterrichtet werden.“ Bislang sei es von den Zwölf Stämmen abgelehnt worden, Klosterzimmern von einem Schulrat oder einem beauftragten Lehrer überprüfen zu lassen. Doch genau das bieten die Mitglieder der Glaubensgemeinschaft inzwischen ausdrücklich an. Als Lösung bietet der Zwölf-Stämme-Sprecher an, „dass wir einen offenen Unterricht führen und die Schulbehörden Unterrichtsbesuche abhalten und unser Schulmaterial einsehen“. Und er ergänzt: „Wir sind offen für Kritik und lernen gerne dazu, auch als Unterrichtende.“
In Deiningen heißt es, vielleicht zeige der Staat jetzt erst mal Härte, um das Gesicht nicht zu verlieren, und hoffentlich gebe es dann endlich eine Lösung. KLAUS WITTMANN