: Sozialticket nur 57 Prozent teurer
An Januar gibt es wieder einen Monatsfahrschein für sozial Schwache – für 32 Euro. BVG bekommt zunächst keine weiteren Landeszuschüsse. Bis zur Abschaffung hatte das Ticket 20,40 Euro gekostet
VON RICHARD ROTHER
Das monatelange Gezerre mit den Verkehrsunternehmen hat ein Ende: zum 1. Januar wird es in Berlin wieder ein Sozialticket geben, wie der rot-rote Senat gestern beschloss. Das Ticket für sozial Schwache ist mit 32 Euro pro Monat allerdings deutlich teuer als das alte Sozialticket, das 20,40 Euro kostete. BVG und S-Bahn sollen bis zu 55 Euro für das künftige Sozialticket oder ersatzweise weitere Zuschüsse vom Land gefordert haben. Die sind nun zunächst nicht vorgesehen. Eine normale Monatskarte für Berlin kostet 64 Euro.
Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) freute sich über die „politische Einigung“ auf den bis zuletzt mit S-Bahn und BVG umstrittenen Preis. Rund 400.000 BerlinerInnen können das Ticket bei den zuständigen Ämtern beantragen, müssen es aber aus eigener Tasche bezahlen. Berechtigt sind alle künftigen Arbeitslosengeld-II-Bezieher, Sozialhilfeempfänger und Asylbewerber sowie deren Angehörige.
Knake-Werner geht von einem sich „selbst tragenden Tarifangebot“ aus. Zwischen Senat und den Verkehrsbetrieben seien jedoch begleitende Überprüfungen im kommenden Jahr vereinbart worden. Sollte sich ein Defizit für die Unternehmen ergeben, werde die Senatswirtschaftsverwaltung Ausgleichszahlungen vornehmen. Diese seien jedoch „haushaltsneutral“. Das alte Sozialticket hatte der Senat mit jährlich 17 Millionen Euro subventioniert. Nach Streichung des Landeszuschusses hatten die Verkehrsbetriebe das Ticket seit Anfang 2004 gar nicht mehr angeboten.
Der DGB, das Berliner Sozialforum und die Grünen begrüßten die Wiedereinführung, halten den Preis von 32 Euro aber für viel zu hoch. DGB-Landessprecher Dieter Pienkny sagte, die Schmerzgrenze sei überschritten. Immerhin müssten die Betroffenen fast zehn Prozent ihres monatlichen Arbeitslosengeldes II für notwendige Mobilität aufwenden. Dagegen verteidigten die Landes- und Fraktionschefs der Koalition, Michael Müller (SPD) und Stefan Liebich (PDS), die neue Karte. Diese koste nur die Hälfte des regulären Monatstickets und sichere die Mobilität der sozial Schwachen.
Das Berliner Sozialforum kündigte für Samstag weitere Proteste an. Die Wiedereinführung des Sozialtickets sei ein Teilerfolg der bisherigen Proteste, aber auch eine „unzumutbare Diskriminierung der Betroffenen“. Die Pläne könnten „schon als Abschaffung städtischer Sozialpolitik“ bezeichnet werden, hieß es weiter. „Wer noch vor Wochen Protestplakate mit ‚Armut per Gesetz‘ massenhaft verbreitete, könnte jetzt ‚Armut per BVG-Tarif‘ tragen.“ Die Schizophrenie von zunehmend repressivem Mobilitätszwang durch Hartz IV auf der einen Seite und der Unbezahlbarkeit von Mobilität auf der anderen treibe die Demütigung der Betroffenen auf die Spitze.
Die Grünen sehen einen anderen – positiven – Zusammenhang mit der von ihnen auf Bundesebene mitverantworteten Arbeitsmarktreform Hartz IV. Der Preis von 32 Euro für das Sozialticket würde viele ärmere Menschen von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausschließen, so die Grünen-Fraktion, die den alten Preis von 20,40 Euro fordert. Dafür müsse es auch einen Zuschuss aus dem Landesetat geben. Dieser könne aus den Entlastungen bei den Personalausgaben finanziert werden, die dem Land durch die Arbeitsmarktreformen entstünden.
Die FDP-Fraktion lehnte das neue Sozialticket als „faulen Kompromiss“ ab. Zum einen müssten die Verkehrsbetriebe draufzahlen, befürchtet Sozialexperte Rainer-Michael Lehmann. Zum anderen wäre es für den Senat nur logisch, das Ticket entweder voll zu bezuschussen oder es ganz abzuschaffen.